Steine und Unbalancen

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Vor etwas über zwanzig Jahren sind wir neu in die Gegend gezogen. Nach einiger Zeit fiel mir ein Stapel Steine auf, der, in Folien verpackt, auf einem Grundstück direkt neben der Bundesstraße stand.  Es war auffällig, dass sie sehr schief standen, und jeden Moment drohten umzufallen.

Nun sind sie vor kurzem endlich umgefallen –  zwanzig Jahre später.

Vor einigen Wochen dachte ich noch “Oh, jetzt ist es bald soweit, sie haben sich doch noch etwas geneigt. Wirklich erstaunlich, daß sie noch stehen.” Mein Mann fährt übrigens ebenfalls seit zwanzig Jahren an diesem Stapel Steine vorbei. Er wusste weder, von welchen Steinen ich rede, noch ist ihm eine Veränderung aufgefallen, als sie dann umgefallen waren.

Und was ist jetzt an einem Haufen Steine interessant?

Wie Ihr vielleicht wisst, ist “mein Thema”  Balance. Dieser Stapel, wie man jetzt sehen konnte, war unbalanciert.
Ein Stein an sich kann natürlich nicht unbalanciert sein. Er besteht aus einer festen Struktur, ohne Möglichkeit der Veränderung. Seine Balance ist abhängig von seiner Umgebung, von dem Grund, auf dem er ruht.
Das scheinbar instabile Gleichgewicht, die drohende Verlagerung, war über viele Jahre so stabil, dass es keine Veränderungen zum Schlimmeren gab.
Aber die Bereitschaft, sich zu verändern, war stets da.
Es brauchte nur ein klein wenig mehr, wie z.B. einen nassen Winter, um den Boden – das Fundament –  soweit zu schwächen, dass das fragile Gleichgewicht verloren ging.

Genauso ist das mit Veränderungen in der Balance im Bewegungssystem des Pferdes. Manche Veränderungen sind schleichend. Manche Veränderungen fallen nur dem geübten Auge auf. Manche Veränderungen bemerkt man nicht einmal, weil man so an sie gewöhnt ist. Und viele Pferde können sehr viele Jahre mit einem Ungleichgewicht laufen. Sie haben ein paar kleinere Probleme, ein paar merkwürdige Probleme, und irgendwie scheint alles immer ein klein wenig schwieriger zu sein als bei anderen.
Und dann, auf einmal, kommt eine weitere Änderung – vielleicht der Wechsel der Hufbearbeitung. Vielleicht ein Stallwechsel. Vielleicht ein neuer Sattel, oder ein anderer Mensch. Vielleicht ein Wechsel des Reitlehrers, oder nur einige besonders kalte nasse Tage, an denen das Pferd ein wenig friert. Vielleicht ein paar Tage Urlaub, in denen das Pferd einem Wechsel gegenüber der gewohnten Bewegung ausgesetzt wird. Oder einfach nur eine Änderung der Heuqualität – oder ein neuer, missliebiger Nachbar, mit dem das Pferd sich nicht versteht.
Und auf einmal kommt alles ins Wanken, und “von jetzt auf gleich” ist das Pferd lahm. Und dann wird nach der Ursache gesucht, ein Sturz vielleicht, oder beim Wälzen über einen Stein gerollt… denn es war ja nie vorher irgendwas Schwerwiegendes, was aufgefallen wäre… Dabei hätte man es frühzeitig sehen können. Hätte eingreifen können, bevor das Problem richtig groß geworden wäre.
“Der läuft halt immer so.”
“Links herum mag er halt nicht, das ist eben so.”
“Rechts mag er nicht angaloppieren, ich muss da immer ein bisschen tricksen.”
“Tiefen Boden mag er nicht, wir gehen einfach nicht mehr auf Turniere wo der Platz so tief ist.”
“Er kann nur mit einem baumlosen Sattel laufen, wir haben schon unzählige Sättel probiert.”
“Das Pferd lässt mich nicht sitzen, also traben wir eben immer leicht.”
Dergleichen Beispiele sind jedem bekannt – und sie alle zeigen Symptome auf, bei denen die Pferde schon im Ungleichgewicht sind. In manchen Fällen währt die dauerhafte Inbalance so lange wie das Pferd lebt, ohne dass sich gravierend etwas verschlechtert. Aber in den meisten Fällen haben wir eine schleichende Verschlechterung, die, kaum bemerkt, dann – scheinbar plötzlich – zu deutlichen Verschlimmerungen führt. Ungleiche Hufe, länger andauernde Rechts-Links-Unterschiede im Gangbild oder der Rittigkeit – all dies gibt Hinweise darauf, dass jetzt und heute schon Handlungsbedarf besteht.

Fragen Sie einen Therapeuten Ihres Vertrauens, bevor es zu weiteren Verschlechterungen kommt. 

“Ärzte in China: 
Der mittelmäßige Arzt behandelt seine Patienten, wenn sie krank werden.
Der schlechte Arzt behandelt seine Patienten, wenn sie krank sind. 
Der gute Arzt behandelt seine Patienten, bevor sie krank werden. “ (Guido Hoenig)

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und Ihrem Pferd ein balanciertes Leben.

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