Balance – was hat es damit auf sich?

Leben in Balance  – klingt ja toll.

Aber was ist damit eigentlich gemeint?

Balance ist so ein schwammiger Begriff, der sich auf nahezu jeden Aspekt unseres Lebens anwenden lässt. Er macht sich sehr gut in Slogans und Werbesprüchen, weil er einfach so schön positiv und allumfassend klingt. Konstrukte wie „Work-Life-Balance“ haben das schlichte Wort „Ausgleich“ ersetzt. Das klingt einfach so untrendy…

Dabei ist es doch durchaus erstrebenswert, ein gutes Gleichgewicht im Leben zu erreichen. 

Was bedeutet es jedoch in der Pferdearbeit, wenn ich sage dass ich die Balance verbessern möchte? 
Die meisten Reiter kennen die Problematik der Vorhandlastigkeit und dass man diese im Verlauf der Ausbildung zugunsten einer Lastaufnahme der Hinterhand verbessern möchte. Baucher resp. Philippe Karl brachte den Aspekt der Schulterbalance ins Spiel. 
Die Schulterbalance hängt letztendlich mit der Rumpfbalance zusammen. Die Hufbalance ist wichtig, damit der Rumpf ohne störende Zugkräfte gesund bleiben kann. 

Ein perfekt balanciertes Pferd wäre einer Kugel vergleichbar. Es wäre nahezu symmetrisch und in der Lage, sich in jedem Zeitpunkt harmonisch in jede beliebige Richtung zu bewegen. Im Idealfall, wenn es ein Reitpferd ist, auch mit Reiter. 

Von meinem letzten Kurswochenende in Luxemburg habe ich zwei schöne Beispiele mitgebracht, wie man schon im Kleinsten an der Balance arbeiten kann und wo man Störfaktoren aufspüren kann. 

Beispiel 1: Maggy und Kyra üben „Grown Ups“
Die Übung „Grown Ups are talking, please don’t interrupt“ ist die Basis-Höflichkeitsübung von Alexandra Kurland. Das Pferd soll ruhig und entspannt neben dem Menschen stehen und es nicht bedrängen, obwohl es das Futter quasi gleich vor der Nase hat. Im Idealfall steht es so da, bis der Mensch eine andere Anweisung gibt. 

Maggy (im geblümten Oberteil 🙂 ) lehnt sich hier ein wenig in Kyras Raum hinein. Sie steht vorwiegend auf dem rechten Bein. Das beantwortet Kyra damit, dass sie sich mit ihrem Kopf ebenfalls nach rechts bewegt, gerade so weit wie sie noch entspannt stehen kann. Wird in so einem Fall die Balance schwerwiegender gestört, kann es dazu kommen, dass das Pferd dem Menschen z.B. durch Schnappen, Anstubsen oder Lecken signalisiert „Das ist unangenehm“. 

Nach einigen Übungen zur besseren Balance steht Maggy schon ganz anders da. Sie achtet nun ebenfalls darauf, Kyra genau in ihrer Mitte zu füttern. So sind beide am nächsten Tag schon sehr viel zufriedener mit der gemeinsamen Situation.   
Balanciertes Stehen beeinflusst alle Strukturen im Körper positiv. Je öfter man in dieser Haltung stehen kann, desto besser wird der Körper diese Haltung als „normal und erstrebenswert“ ansehen. Stehen wir immer schief, ist das für unseren Körper „normal und richtig“. Neue Haltungen müssen genauso erlernt werden wie neue Gewohnheiten, bevor sie der Körper als die neue Normalität akzeptieren und anwenden kann. 

 

Medley steht zu Beginn der Arbeitseinheit scheinbar entspannt und gerade. Schaut man genauer hin, bemerkt man vielleicht dass die „Mitte“ der Brust, die durch die Abgrenzung der Brustmuskeln sichtbar ist, nicht wirklich mittig ist. Sie ist leicht verschoben in Richtung des rechten Beins, das augenblicklich das Standbein darstellt. Genau wie Maggy lehnt er sich ein wenig nach rechts. 
Und obwohl er mit den Hinterhufen ebenfalls nebeneinander steht, ist die Kruppe nicht gerade, sondern senkt sich nach links. Das liegt an dem nach links ziehenden Rumpf. In den Linkskurven „fällt“ Medley gerne nach innen. Er steht gerne mit „entspanntem“ Hals, aber es fällt ihm schwer sich aus der Halsbasis aufzurichten. 

Nach einigen Übungen mit Targetstick, Matten und gezielter Fütterungsposition steht Medley am nächsten Morgen völlig anders da. Nun ist er aufgerichteter, die Brust stellt sich symmetrisch dar und die Kruppe ist gerade. 

  

 

Diese kleinen – und doch so gravierenden Änderungen – können erzielt werden, weil Pferd und Mensch in kleinschrittigen Übungen immer wieder dazu ermuntert werden, ihre eigene Balance zu verändern und sich neu zu sortieren. Über kleine Änderungsvorschläge (z.B. „kannst Du dem Targetstick nach außen folgen?“ ) beginnen die Muskeln in Arbeit zu kommen, die bisher wenig gefordert wurden, weil der Körper sich in sein „das ist Bequem“ – Muster flüchtet. 
Deshalb muss man sich auch bewusst machen dass diese Arbeit körperlich anstrengend ist und nicht zu viel verlangen, auch wenn auf den ersten Blick noch kein konkretes Ergebnis zu sehen sein wird. 
Wie man an Medley sieht, präsentiert sich das Pferd am nächsten Tag ganz neu. 

 

Vielen Dank an Isabell Uthmann für die wunderbar aussagekräftigen Bilder! 

 

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