Schnappen – Beschwerdemanagement auf pferdisch

Hilfe mein Pferd schnappt nach mir!

Viele, die das Clickertraining für sich entdecken, sind, nachdem sie bemerkten, wie motiviert ihr Pferd nun wird, ganz begeistert. Sie wollen auf der Stelle alles anders machen als zuvor und es ist für das Pferd ja auch ganz toll, wenn ab jetzt alles positiv ist und wenn es dabei noch was zu Essen gibt. 

Aber dann – mutiert das vormals eigentlich brave Pony zum Schnappmonster und guter Rat ist teuer. Man möchte doch nur das Beste für das Pferd, warum ist es jetzt nicht glücklicher als vorher? 

Und wie schafft man es, jetzt alles besser und anders zu machen als vorher? 

Genau in dieser Situation war Esther mit ihrem Pferd Sidney. Ich kenne und betreue die beiden schon länger, bisher vorwiegend physiotherapeutisch. Sie sind gut ausgebildet in klassischer Dressur, unternehmen Orientierungsritte und viele andere Dinge. Sie sind ein gutes, in vielen Jahren eingespieltes Team. 

Und auf einmal ist alles anders – Sidney wandelte sich kurz nach Beginn der Arbeit mit Clickertraining in ein anscheinend schlecht gelauntes, andauernd schnappendes Pferd. Wo war der Fehler? 

Wer mich kennt, weiss, dass mein Mantra ist: „Es hat immer einen Grund“.
Und da ich selbst nun Jahre der Forschung mit meinem ebenfalls schnappigen Pony verbracht habe, weiss ich, dass es manchmal länger dauern kann bis man einen Grund (oder mehrere Gründe) findet. Wenn kein offensichtlicher Grund da ist, haben wir noch nicht lange genug gesucht – oder noch nicht das Verständnis dafür erlangt, was vor sich geht. 

Das Schnappen des Pferdes ist für mich mittlerweile immer eine Aussage, die direkt an mich gerichtet ist: „Du, hier stimmt was nicht. Die Situation ist mir unangenehm.“ 

In diesem Fall war schon gemeinsames Gehen nebeneinander, ohne dass ein Strick am Pferd war, unmöglich geworden. Der Grund, dass Esther also irgendwie am Strick zog (übrigens eine sehr häufige Ursache) schied also aus. 

In der letzten (der ersten „echten“ Clicker-) Stunde hatten wir unter anderem gemeinsames freies Gehen von Pylone zu Pylone geübt. Dabei hatte sich gezeigt, dass Sidney ganz klare Seitenvorlieben hatte. Links herum war ok, rechts herum (seine sogenannte „hohle Seite“) ging gar nicht, was sich in ständigem, hektischen Schnappen äußerte. 

Da es mir ein Anliegen ist, dem Pferd im Clickertraining zu zeigen, dass seine Ansichten nun ebenfalls von Bedeutung sind und gehört werden, haben wir also beim letzten Mal vorwiegend links herum trainiert, haben die Position des Menschen über die Futterdarbietung geändert, sind mit dem Menschen auf der rechten Seite einige Meter eher geradeaus gelaufen, ohne zu starke Biegung durch den gewählten Weg zu forcieren. Das hatte soweit gut geklappt. 

Ein Grund war also auf jeden Fall die natürliche Schiefe, verbunden mit der neuen Meinungsfreiheit, zu sagen, dass es ihm noch unangenehm ist, so um die Kurve zu gehen. 

In der nächsten Stunde wollte ich jedoch gerne mit Strick am Pferd arbeiten, da in der Freiarbeit oft das Problem auftritt, dass das Pferd ein wenig „alleine“ gelassen wird. Ich schätze die feine Strickverbindung zum Pferd sehr, weil sie ihm helfen kann, in Balance zu kommen. Und sie hilft beiden, die Absicht des Menschen besser zu verstehen, wenn dieser noch nicht vollständig in der Lage ist, alleine mittels seiner Körperhaltung und dem mentalen Focus klar zu übermitteln was er möchte, wann und wie. 

Es zeigte sich schnell, dass Sidney scheinbar auch hiermit überfordert war. Rechtswendungen arteten in eine „1 Schritt 2x Schnapp“ – Frequenz aus. Hier war genaues Analysieren der Situation gefragt, so dass ich zunächst (um den Faktor „untrainierte Führperson“ auszuschließen) ihn selbst zu einer Rechtswendung um einen Pylon anleitete. Was sofort wunderbar und ohne Schnappen funktionierte. 

Also gab ich ihn an Esther zurück und leitete sie an, wie sie in einer sehr rudimentären Form der sogenannten Stricktechnik von Alexandra Kurland („T’ai Chi Rope Handling“) Sidney in Bewegung bitten konnte und wie sie ihn dabei begleiten konnte. Normalerweise würde ich hier eine Einheit ohne Pferd einlegen, um dem Menschen die grundlegendsten Mechaniken der Technik zu verdeutlichen, aber das ist aufgrund von Zeit- und Raumumständen nicht immer möglich. 

Und wo Sidney nun vorher andauernd, fast bei jedem Schritt, nach dem Menschen geschnappt hatte, zeigte er innerhalb von ein paar Minuten, dass diese Form der Führung für ihn wesentlich stressfreier, angenehmer und klar verständlich war.  

Nachdem die beiden (mit sehr vielen Pausen auf der Matte) ca. 20 Minuten das Gehen um Pylone auf beiden Seiten im Pylonenkreis geübt hatten, war sein ganzer Gesichtsausdruck komplett weich und entspannt. Und den Rückweg über den verlockenden Grasweg meisterten die beiden auch noch sehr gut. 

Weder hatte sich Esther innerhalb von ein paar Minuten zum perfekten fehlerlosen Übermenschen gewandelt, noch hatte sich Sidneys Balance so perfektioniert, dass er keine Hilfe mehr benötigte. 

Aber die Kommunikation über den Strick war nun fein, auf das Pferd und seine Reaktion abgestimmt, und vor allem klar und frei von dem ständigen Quasseln, was wir nur all zu gerne ständig unbewusst in die Kommunikation einfließen lassen. Darauf konnte sich Sidney nun sehr gut einlassen. 

Aber was war nun die Ursache für das Schnappen?
Die Stricktechnik mit ihrer reduzierten, aber klaren und feinen „Anfrage“ übermitteln Sidney einen klaren Plan ohne ihn unter Druck zu setzen. Und das ist oft ein Problem bei der Freiarbeit. Wir meinen, das wir uns total klar ausdrücken, wenn wir doch „nur“ wollen dass ein Pferd sich mit uns auf einer Linie bewegt, die wir in unserem Kopf haben, in dem Tempo, was uns vorschwebt. Aber wenn man mit Clickertraining beginnt, wird man feststellen, dass Situationen, die man als selbstverständlich betrachtet hat, wie das gemeinsame Losgehen, unter Umständen ohne Druck und Zug einfach nicht funktionieren und neu aufgebaut und unter Signalkontrolle gebracht werden müssen. 

Ich vergleiche das Clickertraining ja gerne mit einer Sprache. Es ist eine Kommunikationsform mit dem Pferd. Wechselt nun der Mensch von der druckbasierten Sprache, die er mit dem Pferd über Jahre benutzt hat, in eine völlig andere, neue Sprache, muss diese genauso kleinschrittig erarbeitet werden. Vor allem, weil man im Clickertraining ja eher versucht, „leiser“ zu reden 🙂 

Und deshalb sagt das Pferd dann auf einmal „ich verstehe Dich nicht mehr“. Und je nach Pferd (und nach Mensch natürlich) wird das entsprechend laut und deutlich kommuniziert. Manche schubsen, manche bleiben einfach stehen, andere benutzen ihr kommunikatives Maul und schnappen.

Aber im Grund genommen sagen sie alle das selbe: 
„Rede klar mit mir! Ich verstehe Dich nicht!“

So konnte man auch im Verlauf der Einheit mit Sidney erkennen, dass er es nicht mehr nötig fand, Esther zu beissen. Jetzt reicht ein mahnendes Anschubsen aus, um sicherzustellen, dass sie wahrnimmt, dass noch der nötige Feinschliff fehlt. Und darüber kann man sich dann richtig freuen, was wieder hilft, den eigenen Stresszwerg loszulassen, der noch im Hinterkopf sitzt und mit „Achtung, es beisst gleich!“ nervt. Was den angespannten Arm erklärt, denn es macht den wenigsten Menschen Freude sich beißen zu lassen. Aber zum Glück ist die Freude auf beiden Seiten groß, wenn die Kommunikation dann so fein klappt. 

 

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