Futternahme und Stress

Die Kenntnis über Gestik und Mimik der Pferde ist ein wichtiges Element, um situationsangemessenes Training zu gestalten. Dabei legen sehr viele den Fokus auf ein „glücklich aussehendes Pferd“, das am besten die Ohren andauernd aufmerksam nach vorne haben soll. Hier wird dann aber meistens übersehen, dass die Haltung der Ohren nur ein kleines Detail im Ausdrucksverhalten des Pferdes darstellt. Die Ohren spiegeln, genau wie alle anderen Ausdrucksmerkmale, nur den jeweiligen Augenblick, den das Pferd in diesem Moment erlebt. Wenn nun eine Übung an sich anstrengend ist, auf irgendeine Art und Weise schwierig, anspruchsvoll oder unverständlich, kann der Gesichtsausdruck des Pferdes inkl. Ohren signalisieren „das ist doof/schwer/anstrengend“ – und dennoch scheint es, als ob das Pferd die Übung gerne macht, weil es sie wiederholt anbietet.

Wenn man in einem Trainingsprozess ist, ist es manchmal unmöglich, ein „gutes Gesicht“ vom Pferd zu bekommen, weil es ein ganz objektives „gut“ hier vielleicht überhaupt noch nicht zu erreichen ist. Man muss immer den Weg betrachten und die Gesamtsituation. Ein für mich sehr wichtiger Aspekt ist hierbei die Art der Futternahme. Nimmt das Pferd das Futter hektisch, hapsig, mit Zähnen aus der Handfläche, weiß ich, dass der Stresslevel in diesem Augenblick noch zu hoch ist. Ändere ich dann meine Anfrage, und das Pferd reagiert mit besserer Futternahme, ist das für mich eine Rückmeldung, dass der Stresslevel niedriger ist, auch wenn das Ohrenspiel des Pferdes in der Anforderung zeigt, dass es eventuell anstrengend ist.

So kann ich von Click zu Click rückblickend sofort mein Training bewerten und ggf anpassen. Bei Amadeus habe ich dieses Prinzip fast von Beginn an zur Ausbildungsmaxime gemacht. Nimmt er das Futter hapsig, ist der Schritt zu groß und ich muss etwas ändern. Das macht das Training mit ihm so langwierig, aber er zeigt mittlerweile sehr deutlich, dass das für uns genau der richtige Weg ist. So kann ich heute auch ganz gelegentliche Ausflüge in den „Achtung Drachen“ – Bereich machen und einen Rempler ignorieren, weil ich jetzt weiß, dass er nicht von Beißen oder Treten gefolgt sein wird, sondern beide Seiten ihn als „ups – passiert“ betrachten können.

Dabei ist es immer wichtig, den Gesamtausdruck zu betrachten. Es ist enorm hilfreich, sehr viel zu filmen, und das immer wieder einmal zu vergleichen, wenn man sich nicht sicher ist, ob es gravierende Verbesserungen oder Verschlechterungen im Gesamtausdruck gibt.
Amadeus ist mittlerweile grundlegend zu 80% (gefühlt) entspannt und zeigt ein ganz anderes Gesicht als zu Beginn unserer gemeinsamen Arbeit.
Das zeigt mir, dass wir auf einem guten Weg sind, auch wenn die Ohren beim Traben immer noch hinten sind – weil es ihm eben immer noch nicht leicht fällt. Und das darf auch einfach so sein. Ich schaue auch nicht glücklich, wenn ich joggen gehe, aber es fühlt sich trotzdem gut an.

Das Wichtige ist, Stressanzeichen nicht klein zu reden, zu lernen, sie in allen Feinheiten wahrzunehmen, und als berechtigten Ausdruck des Pferdes und als direkte Rückmeldung für unser Training anzunehmen. Das Pferd hat eine Stimme, und wenn es lernt, dass es sie gebrauchen darf, und lernt, dass wir tatsächlich zuhören, dann wird sich das gesamte Training verändern.

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