Vom Segen der Langsamkeit

Wer meinen Weg schon länger verfolgt, weiß, dass ich gerne sehr kleinschrittig arbeite. Viele der Übungen, die ich mache, haben ihren innewohnenden Pfad zur Balance, und zu irgendeinem Zeitpunkt ist dann „auf einmal“ der Moment da, den nächsten Schritt zu gehen, weil es jetzt genau der richtige Zeitpunkt ist. Es lohnt sich, auf diesen Moment zu warten und nicht vorweg zu greifen, um den Prozess zu beschleunigen. Um so schöner wird das Ergebnis sein, weil man eben nicht am Pferd vorbei arbeitet, sondern das Pferd genau sagt, wann es bereit ist für diesen nächsten Schritt.

Amadeus ist ein bewegliches, flummiartiges, hypermobiles Pony. Besonders die Vorhand ist noch immer der größte Schwachpunkt, und den kompensiert er mit anderen Mitteln, indem er den Rücken und die Lende festhält. Mein Fokus liegt deshalb bei ihm auf dem Aufbau der Rumpfmuskelschlinge, denn wenn der Rumpf ständig kippt, entstehen sehr große Zugkräfte, die ausgeglichen werden müssen.

Man kann von verschiedenen Richtungen an das Aufrichten des Rumpfes herangehen:

• Ich kann das Pferd über direkte Führung in Stellung bringen – die korrekte Stellung wird dann die Halswirbel ausrichten und weiter in Folge am CTÜ, dem cerviko-thorakalen Übergang vom Hals zum Rumpf, den ersten Brustwirbel beeinflussen und damit auch dem Rumpf einen Impuls in seiner Ausrichtung geben. Allerdings ist der effektive Hebel hierbei sehr klein, und je nach Stärke der Rumpfverkippung und Schwäche der Rumpfmuskelschlinge kann das für das Pferd sehr schwer sein. Noch dazu muss es dazu in der Stellungsanfrage ganz klar und ganz locker sein, damit das funktionieren kann. Und natürlich darf der Mensch es in der Anfrage nicht selbst blockieren durch Festigkeiten in der eigenen Haltung und Verbindung. Wenn das gelingt, kann man dem Pferd eine sinnvolle Bewegungsidee mitgeben und gute Ansätze bestärken.

• Ich kann das Pferd von hinten aufrichten, indem ich die Hinterhand so arbeite, dass sich ein Spannungsbogen über die Bauchmuskulatur, über die Faszien, über die Hankenbeugung ergibt und der Rumpf über den Rücken aufgerichtet wird. Über Seitengänge (Schulterherein und Kruppeherein) bringe ich die jeweiligen Hinterbeine unter den Schwerpunkt, spanne die richtigen Zuglinien auf und richte damit nach und nach den Rumpf auf.
Dieser Hebel ist etwas effektiver als die Stellungsanfrage, beinhaltet aber in der Regel ein „Zusammenhalten“ der Kräfte des Pferdes durch ein Treiben von hinten nach vorne an einen Fixpunkt (der sehr sehr leicht sein kann). Solange jedoch die Kräfte des Pferdes nach vorne verpuffen oder durch die bestehende Unbalance oder ein ungünstiges Gebäude in ein beständiges Umfallen oder Festhalten münden, ist der Weg von hinten nach vorne sehr schwierig über freie Arbeit zu realisieren.

• Der dritte Weg ist der, die Vorhand aufzurichten, indem ich direkt an der Problematik des kippenden Rumpfes ansetze. Das ist der Weg, mit dem ich am wenigsten gegen ungünstige Hebel angehen muss und dem Pferd nach und nach neue Bewegungsabläufe eröffne und gleichzeitig die Muskulatur schonend auftrainiere. Diesen Weg gehe ich mit Amadeus seit gut 1,5 Jahren. Über das Aktivieren der Bauchmuskulatur im „Pre-WWYLM“ und Zurückfüttern, über das Erarbeiten der Traversalen Schritte im „Multiple Mats„, über das langsame Erarbeiten von Biegung und den Anfängen von Stellung aktivieren wir nach und nach viele Muskeln der Rumpfmuskelschlinge und stabilisieren dadurch die Vorhand.

Jetzt ist es Zeit für den nächsten Schritt.

Bisher habe ich Stellungsanfragen im sogenannten „Blümchen“ gefragt, d.h. auf einer kleinen, gebogenen Linie, wo es dem Pferd leichter fällt, meine Anfrage umzusetzen, ohne aus der Balance zu kommen. Dabei wird regelmäßig in nur sehr kurzen Einheiten gearbeitet, d.h. ich frage maximal drei Stellungsanfragen auf der Kurve, bevor es schon wieder eine Pause gibt. Das gibt dem Pferd Zuversicht, dass es mit der Aufgabe nicht überfordert wird, weil es lernt, das zugrundeliegende Muster zu erkennen.

Die Voraussetzung für die Stellungsanfrage auf der größeren gebogenen Linie rund um den Pylonenzirkel ist ein relativ ausbalancierter Schritt in einer korrekten, losgelassenden Biegung. Das Pferd sollte in der Lage sein, auf die feine Stellungsanfrage zu reagieren, ohne gleich „umzufallen“. Gleichzeitig ist das die Frage, die ich stelle: „Kannst du eine Stellungsanfrage annehmen, und wie sieht es mit dem Gleichgewicht aus?“

Jetzt könnte man natürlich auch so vorgehen und diese Frage stellen, wenn das Pferd noch nicht ganz dafür bereit ist. Indem ich richtige Ansätze einer korrekten Bewegungsidee verstärke, könnte das Pferd auch zu einem richtigen Bewegungsverständnis kommen und feststellen, dass es „das“ tun KANN, ohne umzufallen, wenn es sich sehr bemüht, nicht umzufallen. Das geht. Die Praxis der letzten Jahre meiner Arbeit hat mir aber gezeigt, dass ich so nicht mehr arbeiten möchte. Ich möchte den Weg bis zu diesem Zeitpunkt, wo ich „die Frage aller Fragen“ stelle, so gut vorbereiten, dass das Pferd dann, wenn ich sie stelle, freudig – und eventuell überrascht antworten kann „Ja! Ich kann das, guck!!!“

Um einen ausbalancierten Schritt in Biegung und Stellung gehen zu können, muss das Pferd den Rumpf gerade halten können zwischen den Schulterblättern und es muss die drei Achsen Genick-Schulter-Hüfte voneinander unabhängig bewegen können. Die Wirbelsäule sollte entsprechend der Biegung rotieren können. Wenn diese Ziele erreicht sind, beginnt erst der Kraftaufbau. Erst muss alles losgelassen werden können, bevor es in der Funktionellen Bewegung erstarken kann. Und das ist genau der Grund, warum „meine“ Stellungsanfrage am möglichst durchhängenden Strick erfolgt und nicht in geführtem Kontakt. Denn ich möchte, dass das Pferd sich in die Stellung hinein löst, und nicht damit erneut festmacht im Versuch, sich zu stabilisieren. Wenn es dann diese Bewegung verinnerlicht hat und sie ganz leicht geht, dann kann man langsam in den geführten Kontakt gehen, um gezielter „einzuwirken“. Aber davon sind wir noch ganz weit entfernt. Ich stelle nach wie vor Fragen, die so leicht wie möglich sein sollen. Deshalb ist die Antwort manchmal fast nicht zu sehen, da ich schon die erste Idee im Ansatz bestärken möchte. Je besser mir das gelingt, desto lösender wird die Stellungsanfrage.

Hier sieht man bei Jack, welche Bewegung ich genau meine.

Nach dieser ganzen Vorrede kommen wir nun zur eigentlichen Arbeitseinheit mit Amadeus. Ich hoffe, dass meine Vorgehensweisen und Entscheidungen in dieser Einheit jetzt ein breiteres Verständnis finden.

Ich nutze die SureFoot® Pads gezielt, um zum einen Verspannungen zu lösen, aber auch, um bestimmte Muskelgruppen anzuregen, die ausgleichen müssen, wenn ich die Hufe auf unterschiedliche Höhen stelle. Dazu nutze ich den Einsatz in der Diagonalen sehr gerne, weil ich hier an die wirbelnahen Muskeln herankomme, die ich sonst mit fast nichts erreichen kann. Als Ergänzung und willkommene Pause kann man sie in so einer Einheit hervorragend nutzen, vor allem, wenn man schon ein podestfixiertes Pony hat 🙂 Aber er merkt auch deutlich, dass sie ihm gut tun und zieht mich regelrecht dorthin.

Fazit der Arbeitseinheit für mich:
Die Stellung hilft Amadeus absolut, sich noch besser im Brustkorb aufzurichten und zu stabilisieren. Die Stellungsanfragen in Verbindung mit den SureFoot®Pads helfen ihm, auch auf der schwierigeren rechten Seite besser ausbalanciert zu gehen.
Wir können also nun diesen Schritt weiter gehen auf dem Weg zu den Seitengängen. Wenn es soweit ist, werdet Ihr natürlich davon lesen.

Danke fürs Zuschauen und mitdenken!
Eure Heike und Amadeus

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