Meine Pferde sorgen dafür, dass ich eine gründliche, umfangreiche Ausbildung bekomme. Mirko hat mich über Jahre mit dem Thema der Balance gefordert, Jack schlug die Kapitel Arthrose, Hypermobilität, Husten und Ekzem auf, und Amadeus – nun, sagen wir zu diesem Zeitpunkt, ich lerne täglich auf sehr vielen Ebenen dazu.
Er zog ein mit dem unscheinbaren, gut klingenden Etikett „motiviertes Clickerpony“. Ich bin kein Freund von Schubladendenken, aber wie schnell Amadeus diese Kurzbeschreibung in Wort und Tat verließ, war auch für mich erstaunlich. Die Motivation war immer greifbar, das ist gar keine Frage. Aber sie wurde von einem Stressausdruck begleitet, der das Verhalten auf sehr vielen Ebenen prägte und im Laufe der nächsten Monate immer deutlicher werden sollte.
Da ein neues Pferd seine Geschichte nicht in einem handlichen Notizbuch überreicht, war die erste Aufgabe, zu verstehen, wo, wann und wodurch Stressmomente entstehen. Hier tauchten die Themen Signalkontrolle, Impulskontrolle, Futter, Höflichkeit und das Amadeus-eigene Thema „AmadeusWeichtNichtPUNKT“ auf.
In solchen Dingen haben wir mit dem Clickertraining die wunderbare Möglichkeit, sämtliche Etikettierungen mit anhängenden „Das gehört aber so gelöst“ einfach außen vor zu lassen. Es ist für das Miteinander zwar durchaus förderlich, wenn man versteht, in welchem Bereich der Rangfolge das Pferd in der Herde steht oder stehen möchte, aber für das Training macht es wenig Unterschied, da ich hier das Thema Dominanz ganz außen vor lassen kann. Ich stelle Kriterien auf, ich bestärke zielführendes Verhalten, und ich bringe es, wenn nötig, unter Signalkontrolle. Abhängig vom Individuum, von körperlichen und anderen Faktoren (z.B. Trainerfähigkeiten) dauert das Training eines bestimmten Verhaltens dann mehr oder weniger lange.
Mein erstes Pferd, Mirko, wurde konventionell ausgebildet. Als ich 2002 mit dem damals 9 jährigen Pony Clickertraining begann, waren es erst Tricks, Zirkuslektionen, Erziehung und nach und nach körperbezogene Übungen, bis wir nach einigen Jahren auch das Reiten und sonstige Ausbilden mit dem Clicker durchführten. Je länger ich mich damit beschäftigte, den Einsatz und die Machbarkeit von Ausbildung mit positiver Verstärkung zu verstehen, desto mehr fielen mit die Trainingslöcher in Mirkos Ausbildung auf. Und es waren sehr viele Löcher. Mirko hatte einige Probleme, die ich erst sehr spät verstanden habe, und die auch keiner der Ausbilder, die mit ihm gearbeitet hatten, verstanden hatten. Arbeitet man mit („normaler“) negativer Verstärkung, kommt man über sehr viele körperliche Probleme scheinbar mit „mehr Treiben“ hinweg. Pferde können unglaublich viel kompensieren, und wenn man ihnen sagt „Lauf, halte Dich in dieser Form, und bewege deine Füße in die Richtung die ich vorgebe“ werden sie ziemlich geschickt darin, das zu tun. Da ich allerdings nie so viel Druck beim Reiten ausüben wollte wie Mirko scheinbar brauchte, um „vernünftig“ zu laufen, kamen wir reiterlich durchaus an unsere Grenzen.
Entfernt man das Element des „Tu was ich sage“, fällt dann unter Umständen alles zusammen. Die restliche gemeinsame Lebenszeit haben wir eigentlich damit verbracht, die vorhandenen Defizite zu entschlüsseln und zu bewältigen. Und ich bin Mirko extrem dankbar, dass er mir abschließend gezeigt hat, wie weit wir gekommen waren.
Bei Amadeus wollte ich diesen Fehler nicht machen. Ich wollte auf ihn hören, und wenn ein Problem in der Ausbildung auftreten würde, dann wollte ich es „brav“ und systematisch angehen, bevor wir den nächsten Schritt machen würden.
Das veränderte alles.
In seinem vorherigen Leben war er Fahrpony und wurde auch geritten. Er kannte via Clickertraining ein paar nette Sachen wie Hinsetzen und Pylonen schubsen, aber sonst nicht viel. Schon nach kurzer Zeit war klar, dass ich ihn nicht fahren würde (da ich davon nichts verstehe) und dass wir in Punkto Clickertraining einen kompletten Neustart machen würden. Dieser Neustart umfasste schließlich den kompletten Umgang inklusive Führen, Spazierengehen, Putzen, Hufe geben und was man sonst so braucht um ein Pony zu manövrieren.
Schon nach kurzer Zeit bemerkte ich, dass Amadeus sich bei vielen Sachen zu stressen schien, die ihm eigentlich als Pony, das schon eine Menge gesehen hat, nicht so unbekannt sein sollten. Nach und nach wurde das Thema „Stress“ zum zentralen Punkt und ich lernte immer besser, sehr viele Stressanzeichen wahrzunehmen. An erster Stelle stand bald die Art der Futternahme. War sie hapsig und hastig, war der Stresslevel aktuell hoch, und es war an der Zeit, in diesem Moment am Training oder der Situation etwas zu ändern.
Wir arbeiteten in den nächsten Monaten sehr viel an der Balance, weil diese eine großen Faktor in allen Bewegungsübungen ausmachte.
Nach einem unglücklichen Start und einer langsamen Eingliederung dauerte es einige Monate, bis meine beiden Herren mit Weltherrschaftsanspruch sich miteinander wirklich arrangiert hatten und wieder Ruhe in die Gruppe einkehrte.
Amadeus‘ Motivation war immer immens und seine Ungeduld stand ihm ständig im Weg. So war es auch für mich ein langer Weg der Erkenntnis, wie genau ich die Gratwanderung zwischen „Wir tun was, egal was“, schlechter Balance, die alles in Bewegung schwieriger machte, und dem resultierenden Bewegungsmangel, weil wir vorwiegend im Schritt arbeiteten, gestalten konnte. Alle Faktoren griffen ständig ineinander und waren oft nicht sauber zu trennen, so dass wir sehr lange mit wenig optimalen Bedingungen jonglieren mussten.
Dabei stellten sich manche Übungen als unerwartet schwer für Amadeus heraus. Von Anfang an war er von der Wippe begeistert, aber er schien seine Hinterbeine nicht wirklich im Griff zu haben. Die Wippe erwies sich deshalb als viel zu schwer, und wir arbeiteten uns über viele verschiedene Podeste langsam an den einen Punkt heran, „einfach“ die Hinterbeine einzeln auf das Podest zu stellen.
Auffällig war, dass er von Anfang an sehr empfindlich im Bauchbereich war. Ich arbeite sehr gerne damit, vorhandene Rückenverspannungen über manuelle sanfte Stimulierung der Bauchmuskulatur zu lösen. Dieser Ansatz führte bei Amadeus allerdings zunächst zu erheblicher Abwehr. Zum Winter hin wurde es immer schlimmer. Ich fand schließlich heraus, dass er sich mit einer dicken Decke erheblich wohler fühlte. Seinen zweiten Winter bei mir verbrachte er deshalb weitgehend eingedeckt und er zeigte deutlich, dass ihm das sehr gut gefiel. Er war insgesamt erheblich entspannter.
Alle diese Anzeichen konnten diversen Ursachen zugeordnet werden und wurden durch Organisation, Futtermanagement, Herdengefüge, Training, therapeutische Behandlung und Umgang immer besser.
Da er sonst mittlerweile sehr oft freundlich, bemüht, höflich, balanciert, in sich ruhend, nett zu den anderen ist und ganz normal in seinem Fress- und Ausscheidungsverhalten, war der Tag, als er sich auf einmal an einer sehr unüblichen Stelle hinlegte, flehmte und leerkaute, doch sehr überraschend. Auf einmal hatten wir einen Hinweis, dass er Magenprobleme hatte. Und auf einmal machten alle diese vielen kleinen Anzeichen so viel mehr Sinn.
Beim Training und auch im allgemeinen Umgang stellte sich heraus, dass Amadeus am entspanntesten ist, wenn er weiß, was als nächstes kommt. Ein Trainingsaufbau muss für ihn sauber strukturiert, extrem kleinschrittig aufgebaut sein, und in ordentlicher Konsequenz gesteigert werden, ohne logische Schritte zu überspringen.
Vorhersehbarkeit ist hier ein ganz großer Aspekt.
Auch wenn es von außen bestrachtet manchmal nicht so aussieht, fällt mir das persönlich wirklich schwer, immer ganz „ordentlich“ zu arbeiten. Ich wechsele gerne die Aufgaben ab, habe auf einmal Einfälle und möchte diese dann neu aufbauen. Je „langweiliger“ ich aber in meinem Aufbau bin, und je achtsamer darauf, welche der vielen kleinen Schritte zu beachten sind, desto entspannter ist Amadeus und desto größer wird seine Motivation, an der Aufgabe zu bleiben.
Er kommt am besten mit den Menschen zurecht, die sich an die Regeln halten. Menschen, die das nicht tun, werden deshalb weiterhin mit einem sehr giftigen Blick bedacht. Nach nun knapp 1,5 Jahren kann ich tatsächlich sagen, dass dieses Verhalten reiner Unsicherheit entspringt. Das mag bei ihm so extrem sein, weil er in der Vergangenheit unschöne Erlebnisse gehabt hat, die in ihrer negativen Ausprägung noch über Jahre nachwirken, je nach auftretender Situation.
Fakt ist: Er stresst sich leicht, und er hat Magenprobleme.
Meine Vermutung ist nun, dass er die Magenprobleme schon sehr lange hatte, dass sie schon vor meiner Zeit entstanden sind, und dass sie bei uns zwar vermutlich besser geworden sind, aber nicht ausheilen konnten. Als er nun ein paar Zusatzfuttermittel bekam, die an sich völlig unproblematisch, für magenempfindliche Pferde aber reizend sind, eskalierte die Situation und er zeigte erstmals richtig deutliche Anzeichen für die Problematik. Ein Webinar bei Conny Röhm brachte noch einmal einiges mehr an Erkenntnissen, und ein Tierarztcheck bestätigte meine Annahme.
Anzeichen für Magenprobleme bei Pferden:
– Berührungsempfindlichkeit in Gurtlage und am hinteren Bauchbereich
– Verweigerung bei schnelleren Gangarten, Unwilligkeit vorwärts zu gehen
– Leerkauen, Gähnen, Flehmen
– leichtes Frieren
– Aufhören zu fressen nach dem Beginn der Futternahme
– schlechte Laune allgemein (aufgrund von Dauerschmerz)
– innere Unruhe
– da der Magen auf der linken Seite im Bauch liegt, haben die Pferde oft Unwillen, sich nach rechts zu biegen.
Amadeus‘ Auffälligkeiten:
– Berührungsempfindlichkeit in der Gurtlage und am hinteren Bauchbereich
– mochte anfangs überhaupt nicht rechts herum gehen
– sehr oft schlechte Laune, Garstigkeit, Beißen, Drohen bei Annäherung
– angelegte Ohren beim Traben
– einmal Traben, dann „nein“ zur nächsten Anfrage
– Frieren, Verspannungen
– will immer alles sofort, stresst sich leicht
Mit der Magen-Diagnose erklären sich viele Probleme von selbst.
Anfangs stand Amadeus sehr weit mit den Vorderhufen und Hinterhufen auseinander. Da der Bauchraum insgesamt bei Magenprobleme keinen Druck mag, war auch die Anforderung, die Beine näher zusammenzustellen, um auf ein Podest zu steigen, schwierig.
So war es zum Beispiel für Amadeus viel einfacher, auf das hohe Reifenpodest zu steigen, als auf das niedrige Stepperpodest. Denn beim hohen Reifenpodest war der Bauch in dem Moment nicht unter Druck, sondern gestreckt. Auch das für ihn anfangs so schwierige Zurückgehen könnte damit zusammenhängen.
Auffällig ist zumindest, dass er jetzt, nachdem er ca. 2 Wochen lang futtertechnisch umgestellt ist und ein „Magenschutzprogramm“ bekommt, ingesamt so viel entspannter ist als vorher. Er droht kaum noch, wenn man an ihm vorbeigeht. Er kann leicht und willig mehrere Tritte zurückgehen. Er kann „einfach so“ auf das niedrige Stepperpodest gehen. Und er ist auch gerne immer mal ohne Decke.
All diese kleinen unscheinbaren Details passen nun zusammen. Mich bestätigt das einmal mehr in meinem Grundsatz
„Es hat immer einen Grund.“
Ein Pferd, das körperliches Unwohlsein zeigt, hat auch einen körperlichen Grund. Wenn dieser nicht direkt ersichtlich ist, muss man so lange suchen, bis man etwas gefunden hat. Wenn ein Tierarzt nichts findet, oder einen mit „das ist nicht dramatisch“ abspeist, geht man zum nächsten Tierarzt.
Auf jeden Fall sollte man daran denken, das Pferd eben nicht zu Sachen zu überreden (mit welchen Mitteln auch immer), wenn es deutlich nein sagt. Und wenn es zögerlich „ich könnte das tun“ sagt, dem Pferd dieses Tempo belassen und nicht mehr verlangen, nur weil das Pferd es ja „kann“. Solange Zögern, Verlangsamen oder komplette Verweigerung vorhanden sind, muss man immer in Betracht ziehen, dass das Pferd in irgendeiner Form Schmerzen, Unwohlsein oder andere Probleme hat.