Seit zwei Tagen traben wir. Einfach so. Nebeneinander. Entspannt.
Zumindest, wenn es geradeaus geht (und nein, ich trabe nicht, und dennoch traben wir gemeinsam).
Amadeus ist nun 7 Monate bei mir, und erst jetzt Trab?
Das macht man doch „einfach so“.
Aber ganz so einfach war es eben nicht, und alleine, um herauszufinden, was genau „das Problem“ war, hat es Monate gedauert (und hier gleich eine Warnung: Dieser Artikel braucht Zeit zum Lesen und Schauen. Viel Zeit! Und ich freue mich sehr, wenn Sie es bis zum Ende schaffen.)
Wir haben ein Video von Juli, wo wir schon einmal gemeinsam getrabt sind. Leider habe ich da nur einen ganz kurzen Ausschnitt, der nicht mal so übel aussieht, aber alles, was darüber hinausging an Dauer oder Strecke, wurde mit komplett angelegten Ohren, herankommen und abdrängen quittiert. Im Video sieht man deutlich, wie er im Antraben gegen mich drängt, einmal mit der Hüfte zu mir schwenkt, und die Linie nicht halten kann und sie gleich verkleinert. Das fühlte sich nicht gut an, und deshalb habe ich das gleich wieder aus dem Programm gestrichen.
Im Endeffekt war es nicht „Das Problem“, sondern eine Ansammlung aus vielen verschiedenen fehlenden Bausteinen.
Natürlich kann das Pony traben, auch ohne mich. Auch kann er geradeaus traben, oder in Biegungen – ohne mich.
Aber in dem Moment, wo der Mensch sich in näheähnlicher Entfernung befindet, konnte er es nicht, zumindest nicht ohne die Ohren fest anzulegen und schneller zu werden.
Das war die erste Erkenntnis, und das erste Ziel war deshalb, Abstand aufzubauen.
Das wiederum war wieder gar nicht so einfach, denn erstens habe ich die Futtertasche um und zweitens wollte er nicht auf Abstand gehen – oder konnte es nicht?
Das wiederum brachte uns zu dem Thema Höflichkeit und Entspannung in Anwesenheit von Futter am Menschen. Und zu dem Thema „Warten können“, was gaaaaanz schwer war.
Denn „Mr. Motivation“ wollte immer Alles. Jetzt. Sofort.
Und er war der Meinung, dass er immer Recht habe. Also war der nächste Schritt, daran zu arbeiten, eine Idee in dem Ponykopf zu entwickeln, dass es möglicherweise noch andere Ideen gäbe, die nicht so naheliegend sind auf den ersten Blick. Wie zum Beispiel: Rückwärts gehen, um Futter zu bekommen. Also WEG von mir denken – das war sooo schwer! Wenn man doch so positiv fokussiert auf den Menschen ist, bei dem es Spaß, Abwechslung, und FUTTER gibt.
Diese erste Idee war ein großer Durchbruch, denn bevor er diese Idee hatte, war alles andere nur „Situationskosmetik“. Ja, wir hatten da schon eine gewisse Kommunikation, und ja, wir haben mit Click und Belohnung gearbeitet, aber es war noch kein wirkliches zielgerichtetes Agieren seitens des Pferdes da. Eher ein „ich werfe mal mit Verhalten um mich, dann wird irgendwann Futter aus dem Menschen fallen“.
Wir haben dann das „weg von mir ist gut“ in verschiedenen Übungen erarbeitet. Weg von mir auf eine Matte – Click und Futter. Weg von mir zu einer Pylone – aaah ja, da war ja noch ein anderes Problem, nämlich die Impulskontrolle. Denn Pylonen MUSSTEN umgeschubst werden, immer, und überhaupt und das war überhaupt das Wichtigste. Also haben wir monatelang kleinschrittig daran gearbeitet, dass Pylonen ein Standrecht haben, dass man andere Dinge tun kann, wie z.B. an Pylonen einfach vorbeizugehen („das geht? echt? einfach so?“) und dass es sich lohnt, nicht immer gleich dem allerersten Impuls nachzugehen, der einem so in den betupften Kopf kommt.
Und dann fanden wir sie: Die SuperPylone (TM), und die durfte endlich wieder geschubst werden. Aber zu diesem Zeitpunkt hatte er schon verstanden, dass es Zeiten für Schubsen, und Zeiten für andere Sachen gibt. Großartig.
In diesen Übungen wurde dann die Problematik der fehlenden Balance immer deutlicher. Von Anfang an hatte Amadeus klar gezeigt, dass es ihm unangenehmer war, wenn ich rechts von ihm war. Aber war das nun einfach mangelnde Gewohnheit oder ein Balanceproblem?
Es stellte sich heraus, dass es Beides war.
Je besser er in der Balance wurde, desto leichter fiel es ihm, mich an seiner rechten Seite zu akzeptieren, vor allem in Rechtskurven, die eine große Herausforderung darstellten. Hier half uns nun die SuperPylone, diese Rechtskurven zu erarbeiten.
Da wir nun aber schon eine ganze Weile nur im Schritt unterwegs waren, war es doch zwischendrin notwendig, auch ein paar Kalorien in Bewegung zu bringen. Auf Abstand ging das leidlich gut, aber das Longieren war ihm nicht so vertraut, als dass wir das stressfrei regelmäßig hätten machen wollen. Also hieß es auch hier, wieder neue Grundlagen zu erarbeiten. Mit Hilfe der Matten (nun bereits 1000fach bestärkt) bauten wir nach und nach Abstand auf (alles im Schritt) und erhöhten die Zuversicht, dass es tatsächlich Sinn machte, sich von mir weg zu bewegen – also nicht nur „einfach“ auf Abstand zu bleiben, sondern „von mir weg zu etwas hin zu gehen“, was ein riesengroßer Unterschied ist.
Und hier wurde nun die Balanceproblematik in Form einer schwachen Rumpfmuskelschlinge vollends offenbar, denn die (fast immer) mitlaufende Kamera zeigte deutlich die Problematik auf, „einfach“ geradeaus oder auf einer Kreislinie zu bleiben, wenn die Balance gestört war. Und wenn er aus der Balance kam, fiel er gegen mich, konnte die Linie nicht mehr halten, fühlte sich damit unwohl und zeigte Stressanzeichen in Form von Ohren anlegen, oder auch Drohen mit der Hüfte. Auch das Anfassen der Bauch- und Brustmuskulatur wurde oft mit Drohen beantwortet, und endlich schaffte ich es, hier einige Verspannungen zu lösen.
Zuletzt kam noch das Tiefe Kopfsenken dazu, was nicht nur eine mental sehr beruhigende Übung ist, sondern auch eine tatsächlich geraderichtende Übung. Denn im tiefen Kopfsenken werden alle wichtigen Rumpfstützpunkte optimal ausgerichtet und es ist dem Pferd erschwert, mit dem Rumpf zu einer Seite zu kippen. Gleichzeitig wird die Bauchmuskulatur zum Arbeiten gebracht und die Oberlinie gedehnt.
Jedesmal, wenn er nun durch sehr hastige Futternahme seinen Stress nach einer Trabeinheit zeigte, übten wir uns im tiefen Kopfsenken und Warten. Manchmal war es nötig, das Motoriksystem über ein wenig Rückwärts wieder neu auszurichten, und dann konnte er auch wieder entspannt und balanciert losgehen, statt aus einer ungünstigen Halteposition in Bewegung gleich in die falsche Richtung zu fallen.
Und endlich konnten er anfangen, gerade Linien, von mir weg, zu laufen, und da war er, der Trab! Zunächst entstand er aus der „Wir laufen auf Abstand von Matte zu Matte“ Situation.
Und nur ein paar Tage später ging es dann „einfach so“, zusammen zu laufen. Natürlich hatte ich in dieser Einheit, die am späten Abend ganz spontan im Nieselregen stattfand, keine Kamera laufen, um die Anfänge zu dokumentieren, aber wir gingen auf ca 1 Meter Abstand gerade Linien (ohne Matten, Pylonen, ohne alles) über den Platz (was, nebenbei gesagt, früher total unmöglich war und sofort zu maximalem Stress geführt hatte) – und da war der Trab!
Anfangs nur ein paar wenige Tritte neben mir, aber in ganz anderer Qualität als noch vor einigen Monaten.
Nun wagte ich es, ein wenig zu experimentieren mit geraden und leicht gebogenen Linien, und Amadeus konnte sich drauf einlassen, nur gelegentlich ein wenig gegen mich fallend, ohne in Verzweiflung zu geraten, sehr achtsam auf meine Körpersprache bleibend, und auf Abstand bleibend, wo es ihm möglich war, geradeaus zu laufen.
Am folgenden Vormittag, jetzt im Trockenen, legte ich ein Fünfeck aus Matten aus, um gerade Linien zu laufen, und Amadeus wartete förmlich auf die Einladung, traben zu dürfen. Wir ergänzten die Lockerung durch den Einsatz von SureFoot ® Pads, und dann wollte Herr Amadeus gar nicht mehr aufhören zu traben. Genau wie ich hatte er monatelang darauf gewartet, endlich wieder mehr als Schritt zu gehen, und war nun so motiviert, dass er sich dabei wieder leicht übernahm, aber das wird auch vorübergehen.
Auf das allerfeinste Zeichen von mir trabte er an, und genauso fein konnte er auch durchparieren, wenn es zuviel war. Denn das war ein nicht unwichtiger Teil des Ganzen, der sich über die ganzen Monate entwickelt hatte:
Eine Kommunikation, die geprägt ist von dem Bemühen, sich zu respektieren und gegenseitig zu verstehen.
Eine Kommunikation, die von Frage und Antwort lebt, und keine einseitige Aneinanderreihung von Anweisungen, deren Befolgen mit Click honoriert wird. Wenn das Pferd sagt „Das ist schwer, was Du fragst“ muss das genauso Gehör finden, wie ein „das ist mir unangehm“, wenn es vom Menschen ausgeht. Und es sollte sich in Handlungsänderungen widerspiegeln. Denn nur, wenn das Pferd weiß, dass wir ihm wirklich zuhören, wird es sich zutrauen, auch Vorschläge zu machen, im Wissen, dass es sich lohnt, Neues auszuprobieren.
Und dann wird es beginnen, auch vormals als anstrengend eingestufte Lektionen anzunehmen und diese für sich selbst zur Ertüchtigung zu nutzen.
Und deshalb kann ein einfaches „wir traben nebeneinander“ 7 Monate dauern – und jeder Schritt hat sich gelohnt.
Ich bin sehr dankbar, dass Amadeus mich auf diesen Weg mitnimmt, weil er mich gerade wieder lehrt, nicht viel für selbstverständlich zu nehmen. Und mich um so mehr an diesen vielen kleinen Einzelerkenntnissen zu freuen.
„Gehe immer an den Punkt zurück, an dem Du eine „Ja-Antwort“ von Deinem Pferd bekommen kannst“ (Alexandra Kurland)
Wenn sich ein „einfaches“ Problem als unerwartet komplex herausstellt, ist es die beste Lösung, zu gucken, wo man überhaupt eine konstante Ja-Antwort vom Pferd bekommen kann. Zu oft hängen wir uns an einem Plan fest und dann arbeiten alle noch vorhandenen Widrigkeiten gegen uns und das Pferd, so dass nur Frust über den nicht vorhandenen Trainingserfolg aufkommt.
Ich denke schon lange nicht mehr in „Lektionen“ im Sinne von „Schulterherein“ oder ähnlichem. Sondern ich versuche zu verstehen, aus welchen Bausteinen „Balance“ besteht, und wie diese für das jeweilige Pferd aufgebaut, arrangiert, sortiert, und erarbeitet werden können.
Ich freue mich auf den weiteren Weg. 🙂 Und dass Sie bis hierhin durchgehalten haben!
Ihre Heike