Training und Choice

Was bedeutet es, die Wahl zu haben?

Trainingsschwerpunkte verändern sich über die Zeit. Wir trainieren heute anders, als wir es noch vor 10 oder 20 Jahren gemacht haben. Als ich 2001 mit dem Clickertraining begann, waren es lustige Tricks, und ein paar nützliche Übungen, mit denen wir uns und unseren Pferden die Zeit vertrieben. 

Heute wissen wir so viel mehr über Training, über Lerntheorie, und über das, wie das Lernen für unsere Tiere ist. Wir achten auf Emotionen. Wir möchten, dass sie eine Wahl haben. 

Und hier fängt es an, knifflig zu werden. Denn können Tiere, die in unserer Obhut sind, wirklich eine Wahl bekommen? Was bedeutet es denn überhaupt, wählen zu können? 

Welche Wahl hat ein Vegetarier, dem eine Bratwurst oder versalzenes Gemüse angeboten wird? 

Habe ich die Wahl, im Bett zu bleiben, wenn ich durch ein dringendes Bedürfnis aufwache?

Welche Wahl hat ein Pferd, wenn es sich zwischen „nicht reagieren oder Strafreiz“ entscheiden muss?

Hat ein Pferd, das in einer Box wohnt, eine Wahl, ein Bestimmungsrecht über sein Leben, wenn der Mensch es zum Reiten herausholt, putzt, Sattelt, „bewegt“, und wieder in die Box bringt? 

Hat ein Pony, das zum Dickwerden neigt, und deshalb auf Dauerdiät ist, eine Wahl, wenn es sein Clickerfutter „verdienen“ muss? Kann es sich wirklich leisten, Nein zum Training zu sagen?  

Hat ein Pferd eine Wahl, wenn wir nur immer die „bessere Ausführung als vorher“ bestärken?

Hat ein Pferd, das in einem großen Auslaufbereich in einer stabilen Herde lebt, sich aber trotzdem langweilt, die Wahl, sich gegen Aufmerksamkeit zu entscheiden? 

Im Allgemeinen wird das sehr überstrapazierte Beispiel des Pferdes, das auf der Strasse stehen bleibt, und ein LKW nähert sich, dazu hergenommen, um zu „beweisen“, dass Pferde sich eben nicht alles aussuchen können im Leben. Nur zu ihrem Besten. 

Ich habe mein Pferd doch nicht, um nichts mit ihm zu machen.

Trotzdem ist es möglich, einem Pferd echte Wahlmöglichkeiten zu geben, auch wenn es in unserer Kulturlandschaft unmöglich ist, es frei laufen zu lassen, wohin es eben möchte. 

Als Amadeus zu mir kam, handelte er fast zwanghaft. Er wollte etwas mit dem Menschen tun, er wollte es dauernd tun (auch gerne dreimal täglich), er wollte sich „Kekse“ verdienen, und er fand kein Ende, selbst wenn er sich schon längst nicht mehr konzentrieren konnte. So war er irgendwie Dauerfrustriert in den Wochen, als wir langsam zu einer gemeinsamen Kommunikation fanden. Noch dazu musste er lauter neue Sachen lernen, die ihm auch körperlich und mental schwer fielen – eben weil er gerne alles auf einmal tun wollte, und ach ja, bitte ohne Pause.  

Schritt für Schritt erarbeiteten wir uns ein neues Vokabular. Dies beinhaltete Signale, Hilfsmittel, Situationen, gemeinsames Bewegen und körperliche Übungen. 

Und er lernte, dass er Übungen machen kann, aber nicht muss, um sich eine Futterbelohnung zu verdienen. Und dass er Vorschläge machen kann. Und dass er mit den gelernten Vokabeln wiederum mir Hinweise geben kann über das, was er möchte. Und ich hörte zu und gab ihm die Wahlmöglichkeit. Und wenn ihm keine Wahl einfiel, dann gab es immer das Handtarget als „billigen Click“, gegen den aufkommenden Frust. 

Wenn man jetzt unter diesen Gesichtspunkten die folgende Videosequenz betrachtet, wird man besonders im zweiten Teil (ab 5:40) viele Wahlmöglichkeiten erkennen. Diese geben dem Pferd seine Integrität und lassen es zu einem echten Partner werden, der genauso viele Rechte an Mitbestimmung über sein Training hat, wie ich als Mensch und Trainer. 

Hier nutzt er in erster Linie die gerade gelernten Übungen, um zu signalisieren, dass es genug ist. Wo er vorher immer noch übereifrig (aber auch leicht gestresst) bei jeder Bewegung mitging, entscheidet er sich nun, mir durch Kopfsenken zu signalisieren, dass er noch eine längere Pause braucht. Er steuert die Matte an, um mir zu sagen: Eine weitere Volte oder noch einmal traben geht jetzt nicht. Und dann sagt er: Jetzt reicht es für heute, indem er wiederum das erst vor kurzem gelernte Kopfsenken aktiv anbietet. 

Das ist sehr viel für ein Pony, das einfach nur sehr schwer zu einem Ende finden konnte 🙂  

Und nun können wir Volten gehen, ohne dass er die Kreislinie verkleinert.  Bei der dritten Volte beginnt er auf einmal, nach innen zu kippen. Und dann kommt der Moment, wo er selbst mitteilt: „Jetzt reicht es, ich werde müde.“ Und das ist so viel wert und ich staune über das Pferd, das diese Wahrnehmung für sich selbst entwickeln konnte in so kurzer Zeit. 

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