Ich bin dann mal weg – oder nicht?

Losreissen – eine positive Alternative finden

Die folgende Geschichte handelt von ‚Peanut‘, einem zu diesem Zeitpunkt (Frühjahr 2014) ca. 15 Jahre alten Bosniakenpony (vermutlich), Stockmaß ca 1,30 m.  
(Ich hatte den Bericht bisher nur in Englisch geschrieben und wollte ihn immer noch in Deutsch schreiben, bin aber nie dazu gekommen. )

Was ich von seiner Vorgeschichte weiss, ist nicht viel, aber er scheint es sich immer so passend wie möglich gemacht zu haben. Er gehörte zuletzt einem älteren Mann, der ihn normalerweise beim Bringen auf die Koppel verlor und so lange rief, bis Peanut sich bequemte, zurückzukommen. Seine Enkeltochter unternahm Ausritte mit ihm, die meistens damit endeten, dass Peanut an einer Stelle beschloss, dass es reichte, und im Galopp zurücksauste. Dabei nahm er das Kind aber einfach mit, insofern war das nicht weiter gefährlich. 

Er wurde schließlich verkauft, da es dem Mann zuviel wurde, und kam in den Stall der Reitschule, wo er heute noch wohnt. Es dauerte ungefähr ein Jahr bis man einsah, dass es ein unmögliches Unterfangen war, aus ihm ein geeignetes Reitschulpferd zu machen. 

Normalerweise stehen die Reitschulpferde tagsüber auf dem Paddock, aber er riss sich schon auf dem Weg dahin los (nicht überraschend, vermutlich). Man versuchte es mit einer Kette über der Nase und mit Führen auf Trense, aber im Endeffekt blieb er kurzerhand komplett in der Box, da seine Gewohnheit sich loszureissen unüberwindlich schien. Die Person die täglich die Pferde auf die Paddocks brachte, ist sehr durchsetzungsfähig und bestimmt, aber in einer Art die nicht wirklich nett ist. So entstand viel Stress für Peanut, bis sie es schließlich komplett aufgaben und er endgültig drinnen blieb. 

An diesem Punkt änderte sich sein Leben erneut, diesmal zum Guten, denn er wurde erneut verkauft. Seine neue Besitzerin ist eine nette Frau, die sich einfach in ihn verliebt hat und ihm ein besseres Leben ermöglichen wollte. An diesem Punkt kam ich ins Spiel, da ich als Trainer gerufen wurde, um dem Pony ein paar Manieren auf die nette Art beizubringen, sprich mit Clickertraining. 

Ich begann mit dem Training in seiner Box und nach 3 Clicks hatte er das Spiel verstanden. Target berühren (Eimerdeckel) – Click – Futter. Gutes Spiel. Wir hatten einige Sessions in der Reithalle, in denen wir zunächst daran arbeiteten, dass er sich einigermaßen leicht führen ließ – und daran, dass er die Hufe ordentlich gab zum Auskratzen. Seine Gewohnheit bis hierhin war ein heftiges Stampfen mit dem Bein, wenn man versuchte den Huf hochzunehmen. Der Schmied konnte das irgendwie halten, aber es war fast nicht möglich seine Vorderhufe auszukratzen ohne sehr viel Kraft aufzuwenden. 

Nun kam das Clickerspiel, und es dauerte genau eine Session – fortan war „Hufe geben für Kekse“ sein neues Lieblingsspiel. Er ist so unglaublich schlau, es war kein Wunder dass er als Reitschulpferd dort nicht wirklich glücklich gewesen war. 

Bis zu diesem Zeitpunkt war er immer noch ausschließlich in der Box, auch wenn seine neue Besitzerin so viel wie möglich unternahm um ihm Bewegung zu verschaffen. Dies fand meistens in der Reithalle statt, da es dort am sichersten war. 

Nachdem er also die Basics kannte, war der nächste Schritt ihn auf das Paddock zu bringen, damit er draussen und mit den anderen Pferden zusammen sein konnte. Er war bereits mit den anderen Pferden zusammen in der Halle gewesen, die Vergesellschaftung war also nicht das Thema. 

Jetzt fragt man sich natürlich, was ist so schwierig daran, ein Pferd auf einen Paddock zu bringen.
Nun, der Weg war nicht ganz einfach (mit einem nicht-führigen Pferd), und er war recht lang, insgesamt ca. 300 Meter. 

Zunächst musste man hinter dem Gelände der städtischen Müllabfuhr entlang. Hässliche Gerüche und viele Geräusche durch an- und abfahrende Müllautos, Werkstätten, automatische Tore und viele Menschen. Nach ca. 100 Metern ging es rechts herum, links war nun ein Stück offenes Feld. Dann begannen die Koppeln, und Peanuts anvisierte Koppel war ganz am Ende. Rechts davon war der Parkplatz für die Müllabfuhr-Mitarbeiter und die Reitstallzufahrt. 

Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir das Handtarget erarbeitet, Hufegeben und ein grundlegendes Verständnis vom T’ai Chi Rope Handling (Führtechnik). 

So begannen wir eines Abends damit, um die erste Ecke auf dem Weg Richtung Paddock zu gehen. Peanuts Verhalten änderte sich augenblicklich. Er begann Stressanzeichen zu zeigen, und sie wurden jeden Meter, den wir gingen, mehr und deutlicher. Als erstes nahm er das Futter nach dem Click hektischer. Dann parkte er und fror in der Bewegung ein. Er starrte auf den Weg und schließlich versuchte er umzudrehen. Er war noch in der Lage das Handtarget anzustubsen, aber er war deutlich gestresst. 

Wir gingen den Weg ca. 50 Meter und drehten dann um. Das war im Grunde genommen eine Bestandsaufnahme über die Situation mit der wir es zu tun hatten. 

Als wir einige Tage später dieselbe Strecke gingen, war er schon deutlich entspannter. Ich ließ ihn alle paar Schritte das Handtarget anstubsen und fütterte. Er konnte anhalten auf Stimmkommando und nahm das Futter recht normal. Wir freuten uns und gingen ein Stück weiter. Das war zu weit, er drehte um und versuchte loszurasen. Ich konnte ihn halten, dank meiner Technik. Aber nur ein paar Meter weiter (wir waren da schon auf dem Rückweg) beschloss er dass es nun endgültig reichte, rannte los und auf dem jetzt weicheren Boden hatte ich keine Chance, verlor den Halt und lag längelang im Dreck (was mir eine leichte Rippenprellung einbrachte), während Peanut über den Acker im Galopp entschwand. 

Er lief jedoch nicht weit und wir konnten ihn schnell wieder einfangen. 

Nun wusste ich genau womit ich es zu tun hatte. 

In der nächsten Session gingen wir in die Reithalle und ich machte ihn mit dem Mattenprinzip bekannt. Eine Matte ist ein Bodentarget, in meinem Fall eine Teppichfliese (50×50 cm). Das Prinzip ist, dass es für das Stehen auf der Matte sehr viele Clicks und Futter gibt. Die Matte wird zu einem hochbestärkten Ort. 

Des Weiteren hatte er gezeigt, dass es nicht möglich war, über seiner Grenze zu arbeiten. Das geht mit manchen Pferden, aber mit anderen eben nicht. Es war wichtig, seine Stressanzeichen wahrzunehmen und ihn selbst zeigen zu lassen, wann er bereit wäre für den nächsten Schritt. 

In der nächsten Einheit legten wir also auf dem ersten Stück des Weges, gleich hinter der Ecke beginnend, fünf Matten in einigen Metern Abstand aus. Ich ging mit ihm los und er entdeckte die erste Matte. Kekse!!! Nur einige Meter weiter die nächste Matte. Auf der dritten Matte, die nun nach einer weiteren Ecke lag, begann er das Futter hapsig zu nehmen. 

Ein klares Zeichen, dass sein Stresslevel anstieg, und ein klares Zeichen, umzudrehen. Zurück zur vorherigen Matte. Sofort war er wieder entspannter. Ich begann in „Schleifen“ zu laufen. Immer wenn wir die weiteste Matte erreicht hatten, drehte ich um und ging zu den vorherigen Matten zurück. Wir pendelten zwischen den Matten hin und her, teilweise auch bis zur ersten Matte, immer darauf achtend was er an Stresszeichen zeigte. 

So blieben wir in diesem ersten Bereich so lange, bis er keine Stressanzeichen mehr zeigte, auch wenn wir zu den hintersten Matten gingen. Das dauerte zwei Wochen. Wir übten auf diesem Stück des Weges an unseren Führübungen, die durch die Matten in kleine Teile zerlegt wurden. 

Nach zwei Wochen beschlossen wir, dass es Zeit war sich an das nächste Stück zu wagen – dort wo links das offene Feld war, bevor die Koppeln begannen. 

Weitere Matten wurden ausgelegt und wir gingen zwischen allen Matten hin und her, vor und zurück. Immer wenn wir in die Richtung der Koppeln gingen, stieg sein Stresslevel an, und so gingen wir wieder zurück bis dahin, wo er sich nun sichtlich entspannen konnte. 

Nach und nach konnten wir immer weiter gehen.

Der für mich schwierigste Schritt war, als wir eines Tages nur noch 10 Meter von „seinem“ Koppeleingang entfernt waren. Nur noch ein kleines Stück!! Aber – er hapste bei der Futternahme in meine Hand und begann, auf der Matte zu scharren —  und wir drehten um und gingen zurück. Dabei bauten wir noch einige Schleifen auf den vorherigen Matten ein, und ließen ihn im sicheren Bereich nahe am Stall grasen. 

Einige Tage später wußte ich, heute war der perfekte Tag um bis zum Paddock zu gelangen. Es war windstill, es war warm und wir würden am Paddock ankommen. Und genauso war es. 

Wir hatten vier Matten im letzten Teil liegen, er war sehr aufmerksam und ließ sich fein führen. Er konnte anhalten wenn ich danach fragte, er konnte das Handtarget anstubsen und das Futter manierlich nehmen, er fand die nächsten Matten, er war komplett ungestresst. 

Die Besitzerin öffnete die Tore (es gab einen Zwischengang, von dem aus es in seine Koppel ging) und er ging entspannt hinein, um einige Zeit mit seinem neuen Kumpel auf dem Paddock zu verbringen. 

Bis zu diesem Punkt waren es vier Wochen Trainingszeit gewesen, in denen ich ca. 2 x pro Woche mit ihm gearbeitet hatte. In den nächsten Tagen fuhr ich täglich zum Stall um ihn auf die Koppel zu bringen, und schließlich brachte ihn die Besitzerin selbst hinaus und er blieb weiterhin ruhig und entspannt. 

Es gab sicherlich Zeiten in denen ich selbst etwas Zweifel hatte weil der Fortschritt so klein war und es schien als ob wir nie ankommen würden. Aber im Endeffekt bewahrheitete es sich, dass „je langsamer man geht, desto schneller kommt man an“. 

Und man muss bedenken, dass es hier um die Änderung einer über Jahre gefestigten Gewohnheit ging. Da sind vier Wochen eine wirklich kurze Zeit. 

Ich habe in dieser Zeit sehr gelernt, auf die kleinsten Stressanzeichen zu achten und sie zu respektieren. Ich habe gelernt dass wir Vertrauen und Motivation aufbauen müssen, und dass dies wichtiger ist als die beste Technik.“

Dieses Training fand statt im Frühjahr 2014. Natürlich war Peanut nicht von einem Moment auf den anderen ein super braves Pony. Immerhin war er ein Pony! 

Wir arbeiteten weiterhin daran spazieren zu gehen und dehnten die Spaziergänge langsam aus. Bei der Besitzerin riss er sich gelegentlich noch  mal los, ging aber nie mehr weit weg als nur zur nächsten Grasemöglichkeit. Er wurde ein super motiviertes Clickerpferd. 

https://www.youtube.com/watch?v=P5U_sHf–9E

Mittlerweile ist er ein entspanntes Spaziergehpony geworden, was auch wieder gerne ein Kind trägt.
Das Losreissen ist längst Vergangenheit. 

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