Jack und die böse Pitsch

IMG_0796Natürlich gibt es beim Clickertraining nicht nur die Zeiten wo man auf Wolke  7 schwebt, sondern es gibt auch den Alltag. Clickertraining bedeutet nicht nur, Tricks und schönes Laufen zu erarbeiten, ob mit oder ohne Reiter.

Wenn das Pferd ein Stressthema hat, kann man daran ebenfalls mit dem Clicker arbeiten. Manchmal können Traumen so tatsächlich schnell aufgelöst werden, manchmal dauert es eben etwas länger.

Bei Jack war es so, dass er, als er vierjährig zu mir kam, schon extrem Stress mit der Gerte/Peitsche hatte. Das Longieren sah damals eigentlich so aus, dass er binnen einiger Minuten nur noch im wilden Galopp außen herum raste und nicht mehr ansprechbar war.
Bis ich gemerkt habe, dass es „nur“ das Werkzeug an sich war, nicht das Longieren, hat es einige Monate gedauert. Er konnte außerdem jegliche Berührung an der Hinterhand nur sehr schwer ertragen und hat in der Regel so reagiert, wie man es auf dem Bild hier sieht.

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Ebenfalls ausgeschlagen hat er, wenn er Stress hatte, dazu brauchte man ihn nicht mal zu berühren. Da hat es schon ausgereicht in einem bestimmten Winkel zur Hinterhand zu stehen und die Peitsche nur anzuheben.

 

 

Jetzt könnte man natürlich sagen, wozu um alles in der Welt erspare ich ihm dann nicht den Stress und arbeite ihn nicht einfach ohne das Gruselgerät?

Zum Einen schätze ich die Gerte oder auch die Peitsche als verlängerten Arm sehr. Ich möchte damit gezielt Muskulatur ansprechen, ich möchte klare Signale geben können. Und ich möchte dass mein Pferd LERNT, dass es sich vor der Peitsche oder der Gerte nicht zu fürchten braucht.

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Das Pferd und ich, wir leben in dieser Welt, und ich kann nicht garantieren, dass er sein ganzes Leben bei mir verbringen wird. So wie er mit der Anwesenheit der Gerte umgegangen ist, war es gefährlich, und meine Verantwortung für ihn liegt darin, ihm beizubringen wie er damit klarkommt, ohne dass es für Menschen gefährlich wird, auch ohne dass sie eine zwanzigseitige Gebrauchsanweisung lesen müssen.

Die Gerte gehört nun mal für viele Leute zum Umgang dazu, insbesondere wenn es sich um ein Pferd handelt, das von sich aus nur bedingt „mehr“ Bewegung anbietet, aber leider zum Dickwerden neigt.
Und Jacks „natürliche“ Reaktion auf das Treiben oder Berühren mit der Gerte war eben nicht „vorwärts/weichen“, sondern absolute Konfrontation dagegen.

Deshalb bin ich mit ihm den Weg der Konfrontation und Desensibilisierung gegangen. 

Zu Beginn habe ich dann eine Zeitlang bewusst ohne Gerte gearbeitet, damit er sich erst mal grundlegend entstresst. Dann habe ich begonnen, sie einfach nur dabei zu haben, nur in der abgewandten Hand zu tragen und jedes Entspannt-bleiben bestärkt. Ich habe ihn von vorne beginnend mit der Gerte abgestrichen und alles ruhige bestärkt.
Jedes Tolerieren der Berührung im Stressbereich wurde beclickt. In der Bewegung habe ich das selbe Programm gemacht.

Als er soweit war, dass die Berührung in Entspannung ok war, kamen wir zum Punkt  „Umgang mit Stress“. (Bis zu diesem Moment haben wir ca. 1/2 Jahr daran gearbeitet.)

Ich wollte dass er erstmal zu einer Antwort findet, die anders war als seine Übliche (Ausschlagen).
So habe ich den Gertenimpuls leicht verstärkt, dh im Abstand von ca 2-3 Meter begonnen mit der Gerte/Peitsche ganz sachte zu wedeln. Das führte zuerst zu Ohren anlegen, drohend mit der Hinterhand in meine Richtung zu gehen, ausschlagen (deshalb auch der große Abstand). Ich habe weiterhin ganz leicht weitergewedelt und jeden Impuls von ihm, nach vorne zu gehen, sofort mit großen Lob, Click und Futter bestärkt. Dazu habe ich das (bereits bekannte) Vorwärtssignal stimmlich gegeben, damit er eine Idee bekommt, was ihm aus dieser Situation heraushilft.

Über Monate und Jahre haben wir das immer weiter betrieben. Nach und nach konnte ich immer mehr wildes Gefuchtel hinzunehmen, und er wurde sich immer sicherer darin, dass er das Gewedel sofort beenden konnte, indem er einfach losging. Man konnte wirklich zusehen, wie er lernte, dass er der Situation nicht hilflos ausgeliefert war, sondern einen Plan bekam, der ihm half seinen Stress damit loszuwerden. 

Als das Losgehen soweit zuverlässig funktionierte, begann ich damit, einzelne Touchierpunkte an der Hinterhand herauszuarbeiten. Jack sollte lernen, dass Berührungen an der Hinterhand verschiedene Anfragen darstellen konnten, auf die es sich lohnen würde, einzugehen. So haben wir uns das Hinterhandtarget (Sitzbeinhöcker = Zurückgehen), das Knietarget (Hinterbein anheben), das Hüfttarget (Hüfte zu mir her schwenken) und das Weichen (Antippen der Hüfte) erarbeitet.

Erst als ich merkte, dass er so gut wie keinen Stress mehr hatte, wenn ich mit der Peitsche um ihn herum wildes Gefuchtel durchführte, habe ich daran begonnen zu arbeiten, dass er stehenbleiben SOLL, wenn ich nur die Peitsche bewege. Das hätte vorher keinen Sinn gehabt, weil er einfach ein Ventil brauchte, eine Alternative zum Ausschlagen. Zu verlangen dass er es aushält, erduldet, hätte ihn um so mehr unter Stress gesetzt.

Dass die Arbeit noch nicht beendet ist – vielleicht nie beendet sein wird – zeigt das Video. Jack ist da gerade an einem Punkt, wo er nervös ist (Umgebungsbedingt) und ein wenig genervt (zu lange geritten vorher). Wenn diese Punkte zusammenkommen, ist die Ursprungsreaktion noch zu sehen. Aber das ist in diesem Jahr nur noch zwei mal passiert, und ich bin richtig froh dass ich es gerade jetzt auf Video hatte. Es heisst ja so oft „naja Deiner ist ja nur ein Pony da ist das alles einfach“, und ich kann sagen, nein, das ist – oder war – es wirklich nicht.

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Jack ist nach wie vor ein Pferd, das nur sehr bedingt über Druck gearbeitet werden kann. Aber er hat gelernt, mit diesem Druck umzugehen und ihn ein Stück weit anzunehmen. Und das bin ich ihm und der Umwelt schuldig.

 

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