Vom Grat gefallen

Ich gehe eher selten zum Friseur. Ich habe diese Sorte Naturlocken, die einen Schnitt irgendwie bis zu einem gewissen Punkt X immer noch gut aussehen lassen. Dann kippt das Ganze normalerweise und es sieht furchtbar aus. Bei der aktuellen Feuchtigkeit locken sie sich allerdings recht stark, so dass ich ab einer gewissen Länge aussehe wie ein Pudel.
Wenn sie wirklich lang sind, hängen sich diese Locken aus, bis auf den Teil direkt vor den Ohren. Der bildet so richtig klassische Ringellocken, die denen eines würdigen Rabbiners in nichts nachstehen.
Da ich mich für weniger weise erachte, bevorzuge ich es, diese Länge nicht zu erreichen.
Zumal es wirklich blöde aussieht.

Been there, done that und so weiter.

Aktuell bin ich im Pudelstadium und die anstehenden gesellschaftlichen Ereignisse machen einen Friseurbesuch unumgänglich.
Seit Jahren gehe ich immer in einen Friseurladen in einem großen Einkaufszentrum. Auch wenn jedesmal jemand anderes da ist, war ich bisher dort immer recht zufrieden. Man hat so gut wie keine Wartezeit und ich kann mir die Haare nach dem Schneiden selbst föhnen, was wiederum Geld spart, das ich lieber für die Pferde ausgeben kann 😉

 

Der erste Schreck: Dort wo der Friseur war ist jetzt ein Spielwarengeschäft. Nach ein wenig Suche finde ich den Haarschneidetempel an einer anderen Ecke. Wieder lauter unbekannte Gesichter, aber ich darf mich bei meiner Besuchsfrequenz auch nicht beschweren.
Die Dame hält mir den Kleiderbügel hin und wartet dass ich meine Jacke darauf drapiere. Seltsam, aber nunja.
Ich nehme Platz und formuliere auf die Frage, wie es denn werden soll, klar und deutlich: Alles durchgestuft und kürzer, bitte.
Das war bisher immer ausreichend, ein fachmännischer oder fachfraulicher Griff in die Haare und alles war klar.
Heute ist aber alles ein wenig anders.
Die Frau Fach benötigt ein paar Rückfragen, und dann sagt sie „Da vorne würde ich das länger wachsen lassen“.
Ah jetzt ja. Was ist an „kürzer und durchgestuft“ nicht zu verstehen? Zumal es genau um meine rabbinischen Schläfenlocken geht. Die mag ich nicht mal im Ansatz vor den Ohren länger haben, da ich als Brillenträger täglich mit der Brille an ihnen vorbei muss und nicht selten selbst nach dem Friseurbesuch Hand, äh Schere angelegt habe um sie doch radikal zu kürzen.

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Eigentlich wäre dies der geeignete Moment gewesen den Laden zu verlassen, aber meine Höflichkeit lässt sich leider nicht darauf ein.

Das Waschen gestaltet sich umständlich, erst ist das Wasser zu kalt, zu heiss, zu kalt, dann richtig. Sie zuppelt an meinen Haaren herum und zieht im Genick. Aua. Mein Unwillen wächst.

Dann liefere ich mich dem schneidenden Stahl aus (es braucht noch mal zwei Rückfragen ob ich das wirklich so kurz haben möchte) und ich bekomme noch Belehrungen über den Preis, weil ich selbst föhnen möchte. Was interessiert mich jetzt der Preis, bin ich in einem türkischen Basar? Ich will doch nicht darüber verhandeln, ich will bitte nur einen Haarschnitt.

Eine Mitarbeiterin kommt und fragt nach dem Preis für den Haarschnitt eines Mädchens. Das macht deutlich dass ich es hier wohl mit der aktuellen Chefin zu tun habe. Oh wei. Währenddessen plärrt das Radio auf volle Lautstärke und wetteifert mit dem Föhn des neben uns agierenden Mitarbeiters.

Schließlich ist das Werk vollbracht und es sieht nicht zu schlimm aus. Mir wird die Föhnecke gezeigt und ich bekomme noch mal hilfreiche Anweisungen wie ich die Frisur am besten vollenden kann.

Und dann setzt sich Frau Fach zu ihren zwei Kollegen breit in einen der Sessel und alle drei schauen mir kritisch zu wie ich das Werk mit der heissen Luft zugrunde richte.

Ein besorgtes „Ist das jetzt so ok?“ gibt mir den Rest, ich zahle, hole meine Jacke und flüchte.

Nun brauche ich wohl einen neuen Friseur, denn der Laden hat mich zum letzten Mal gesehen.
Warum erzähle ich das in aller Ausführlichkeit?

Weil der Grad so unendlich schmal ist, der etwas wie einen Friseurbesuch zum Desaster oder zum Wohlfühlmoment werden lässt. Eigentlich gehe ich wirklich gerne zum Friseur. Ich liebe es mir die Haare waschen zu lassen, eine leichte Kopfmassage inbegriffen. Leichtes Gesprächsgeplänkel wenn es passt, wohltuende Stille wenn ich nicht reden mag. Gerne einen Kaffee und das Gefühl, sich verwöhnen zu lassen und einen Moment im Mittelpunkt zu stehen, selbst wenn ich dafür zahle.

Und so ist es auch mit dem Umgang mit Pferden. Es braucht ein wenig Gefühl und Hinhorchen auf die Bedürfnisse des Tieres. Manchmal hat es einen eigenen Vorschlag, da ist es toll wenn wir ihn aufnehmen können und nicht sagen „interessiert mich nicht, die geltende Mode sieht anders aus“.

Es sind so Kleinigkeiten die eine Reitstunde zu einem Desaster für das Pferd machen können, oder die ausmachen dass es auch das nächste Mal gerne mit uns wieder zusammenarbeitet.
Das Pferd kann es sich nicht aussuchen. Es ist uns vollkommen ausgeliefert, unseren Ideen, Eingebungen, ungewollten Grobheiten die oft nicht einmal bemerkt werden, weil es ja jeder so macht.

Dahingegen kann auch eine manipulative Einwirkung für das Pferd völlig stimmig sein, wenn sie von einem guten Gefühl für den Moment begleitet wird und das ganze Zusammensein mit dem Tier eine beiderseitige Konversation ist.
In diesem Sinne wünsche ich Euch frohe Feiertage, lasst Euch verwöhnen und verwöhnt Eure Tiere 🙂

steigischoen

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