Von der Lust zu suchen…

oder: Die Kunst des Ignorierens

Auch beim Clickertraining läuft nicht immer alles nach Plan.
Es kommt vielleicht zu unerwünschten Verhaltensweisen: das Pferd verhält sich nicht so wie gedacht. Insbesondere wenn der Mensch sich aus für das Pferd unerfindlichen Gründen auf einmal in einen Leckerliespendeautomat verwandelt hat. Es gilt also jetzt herauszufinden, wie man als Pferd erreichen kann, dass möglichst schnell möglichst viel Futter aus dem Menschenautomat herauskommt und in das Pferd gelangt.
Manche Pferde verhalten  sich dabei recht höflich, andere weniger. Sie beginnen am Menschen herumzusuchen, nagen ein wenig an den Händen, knabbern ein bisschen an der Jacke, oder beissen gleich überall hinein, wo vermutlich Futter herauskommen könnte.

Das ist vielleicht zu Anfang amüsant, aber schnell wird das selbst dem gutmütigsten und geduldigsten Menschen zuviel und zu gefährlich. Und das zu Recht.

Einer der Grundsätze im Clickertraining ist

„Gewünschtes Verhalten wird bestärkt,
unerwünschtes Verhalten ignoriert.“

Wie aber sieht das nun in der Praxis aus?

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Zuerst einmal muss man sich fragen, was denn überhaupt unerwünschtes Verhalten ist. Da reicht die Palette von „kommt nicht wenn ich rufe“ oder „bleibt stehen wenn er losgehen soll“ bis hin zu Beissen, Treten oder anderen gefährlichen Verhaltensweisen.
Nicht alles was ich mir wünsche oder was ich gerne hätte, ist vom jetzigen Standpunkt trainierbar. Anderes entspringt einer Historie, die vielfältige Ursachen in der Vergangenheit haben kann.

Der obenstehende Grundsatz ist eine praktische Schlussfolgerung aus der Anwendung der Lerngesetze. Forschungen haben ergeben, dass sich nicht bestärktes Verhalten mit der Zeit abschwächt und weniger gezeigt wird. Es lohnt sich für ein Tier nicht, Energie in etwas zu stecken, das ihm nichts einbringt. Verhalten, das ihm einen Nutzen einbringt, wird hingegen auch in Zukunft öfters auftreten, da es sich gelohnt hat. Dabei kann es ausreichend sein, ein einziges Mal zum Erfolg gekommen zu sein, um sehr hartnäckig immer wieder zu versuchen erneut an dieses Ziel zu gelangen.Jaqou_3

Die Belohnung muss dabei nicht immer etwas von außen zugefügtes oder Erreichtes sein. Primäre Bedürfnisse sind Essen, Schlafen, Vermehrung, soziale Interaktionen. Darüber hinaus können auch Tiere einfach Spaß an scheinbar sinnlosem Tun haben. Die Handlung an sich ist dann selbstbestärkend, weil sie interessant ist oder Abwechslung bringt. Manchmal kann es auch ein Trainingsanreiz zur Verbesserung der körperlichen Fähigkeiten sein, was im Überlebensprogramm sehr nützlich sein kann. Und manchmal macht es einfach nur Spaß.

Ziegen spielen

Krähe beim Snowborden

Dobermann liebt die Wasserrutsche

Für manche Verhaltensweisen wie die sogenannten Stereotypien (Koppen, Weben, Krippensetzen) stehen wiederum sehr komplexe Stressmuster im Raum. Das gezeigte Verhalten lenkt vom ursprünglichen Stress ab und erlaubt es dem Tier, seine Nervosität abzuleiten in ein Verhaltensmuster, das durch seine Eintönigkeit wiederum Beruhigung verspricht. (1)

Es kann körperliche Ursachen haben (z.B. Magenprobleme) und ist deshalb im Sinne von unerwünschtem Verhalten nicht einfach „abtrainierbar“.

Im letzten Blogbeitrag habe ich erklärt, wie sich wiederholendes Verhalten in der Nervenphysiologie einprägt. Durch ständige Wiederholung einer Handlung verdicken sich die Myelinscheiden der Nervenfasern, wodurch diese schneller werden in der Reaktion. Eine viel benutzte Nervenbahn wird vom Organismus gegenüber einer langsameren bevorzugt – auch das dient dem Überleben. Das bedeutet: Wiederholt sich ein Verhalten, wird dessen erneutes Auftreten – unabhängig von der Motivation – wahrscheinlicher (siehe auch: Matching Law).

Unter diesem Aspekt betrachtet ist nun „Verhalten ignorieren“  nicht immer die beste Wahl. Insbesondere wenn es sich um eine Situation handelt, in der das Pferd auf Futtersuche ist.

Jaak Panksepp hat den sogenannten Seeker Circuit (Sucher Kreislauf) beschrieben, in dem das Pferd in den Futter-Such-Modus kommt und dadurch eine bestimmte Art von Verhalten quasi vorprogrammiert ist. Da es beim Futtersuchen ja um etwas Lebensnotwendiges geht, wird ein Tier, wenn es in diesem Modus ist, sehr viel mehr Energie und Durchhaltevermögen da hinein setzen, an etwas Essbares zu kommen, als wenn es gerade satt und zufrieden ist.

Der „Seeker Circuit“ („Sucher-Kreislauf“) wird als eines der Basissysteme auf neuronaler Ebene beschrieben. Insgesamt gibt es nach Panksepp vier Basissysteme: Suche, Furcht, Wut und Panik. Die Suche beinhaltet wiederum Neugier, Erkunden, Lustgefühle. (2)

So ist es also nicht verwunderlich, dass bloßes Ignorieren eines der stärksten Antriebsmuster im Tier alleine nicht ausreichen wird, um das Verhalten dauerhaft zu ändern.

(Dieses Sucher-Verhalten ist übrigens auch etwas, das bei der Entwicklung von Videospielen berücksichtigt wird. Die pure Lust am Erkunden, das kreative Einsetzen von Verhalten, nur um Neugier zu befriedigen, ist ein enorm starker Trieb, der uns auch am Leben erhält. Wer nicht neugierig ist, findet keine neuen Nahrungsmittelquellen. Oder kann das Spiel nicht lösen.)

Und deshalb bringt das bloße Ignorieren eines futtersuchenden Pferdes nicht so schnell den erwünschten Erfolg.

Hier ist es ratsam, sich die 1-2-3-Regel zu merken:

• Verhalten das einmal auftritt, ist möglicherweise zufällig.

• Verhalten das zweimal auftritt, ist möglicherweise schon absichtsvoll

• Verhalten das dreimal auftritt, ist eine Gewohnheit.

Bevor also das Verhalten zur Gewohnheit wird, müssen wir innehalten und etwas ändern.
Hier ist eine erhöhte Achtsamkeit gefordert.

• Ein unerwünschtes Verhalten tritt auf.

• Tritt nun das Verhalten erneut (ein zweites Mal) auf, sollte ich meinen aktuellen Plan/mein aktuelles Verhalten beenden, eine Pause machen und versuchen die Situation zu analysieren.

– Warum tritt das Verhalten auf?

– Wurde das Verhalten schon früher gezeigt oder ist es gerade das erste Mal aufgetreten?

– In welcher Situation wurde das Verhalten gezeigt?

– Fördere ich selbst mit meinem Verhalten das Auftreten des Verhaltens?

– Was wäre ein denkbares Alternativverhalten?

– Finde ich in der Situation etwas anderes, das ich bestärken kann, um evtl. das Verhalten des Pferdes in eine andere Richtung zu lenken?

Im Fall eines futtersuchenden Pferdes, das dem Menschen zu nahe rückt, würde ich als Erstes Sicherheitsmaßnahmen treffen und zwischen Mensch und Pferd eine Abtrennung schaffen.
Solange ich damit beschäftigt bin, mich um mein eigenes Wohl zu sorgen oder das Pferd abzuwehren, entferne ich mich von meinem Ziel. Denn mit jedem Click, den ich „irgendwann“ gebe, verstärke ich unter Umständen die ganze Sucherei vorher mit (s.o.) und so lernt das Pferd  – weil es im Futter-Such-Modus (—>Panksepp) ist – nur, dass es sich lange genug oder noch mehr bemühen muss (Futtersuche, Spiel) und irgendwann dafür belohnt wird.

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Mit diesem Sicherheitszaun zwischen uns kann ich nun anfangen, Alternativverhalten zu formen, so dass das Pferd mir etwas anbieten kann, um Clicks zu bekommen. Gut geeignet hierfür ist z.B. Kopfsenken, Rückwärtstreten oder das leichte Abwenden des Kopfes. Ich suche mir ein Verhalten aus, das ich „einfangen“ kann und beginne dieses hoch zu bestärken. Eine andere Möglichkeit bietet das aktive Anbieten eines Targets als sehr leichte Aufgabe.

Jaqou_5Wenn nun der Abstand zwischen uns wieder verringert wird und das Pferd erneut beginnt an mir herumzusuchen, reicht meistens ein ganz leichtes Abwenden, das dem Pferd signalisiert: Denk Dir etwas Besseres aus, um an Clicks zu kommen. Wenn wir nun gut gearbeitet haben, wird das Pferd das erste tun was ihm einfällt – genauer gesagt, den ersten Parkplatz an der Nervenautobahn ansteuern – und das Verhalten wählen, das wir zuvor mehrfach erfolgreich geübt haben.

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Du kannst nichts von einem Pferd erwarten,
wenn Du nicht vorher durch einen Trainingsprozess
gegangen bist, um ihm genau das beizubringen.

Deshalb muss man sehr aufpassen, welche Übungen man zu Beginn verstärkt übt. Es sollten nur Übungen sein, die sich als nützliche Bettelübungen eignen, den Menschen nicht gefährden und Abstand zwischen uns und das Pferd bringen. Spanischer Schritt ist hierzu z.B. völlig ungeeignet. Aber das ist ein eigenes Thema ;).

Zu Guter Letzt:

Oft geht es dem Pferd um Aufmerksamkeit. Solange ich also bei Annäherung und Bettel-Suche mit Sprache, Körpersprache und Zuwendung antworte (hindrehen, anfassen, wegschieben, humorvoll und liebevoll schimpfen, weniger humorvoll schimpfen, strafen) bekommt das Pferd immer genau das, was es möchte. Das Verhalten wird demzufolge bestärkt.

Die wichtigste Übung für uns selbst muss also sein, das Verhalten wirklich zu ignorieren, jedes Muskelzucken, hinschauen, beachten usw. zu unterlassen. Die Perfektion dieser Fähigkeit jedoch kann ein Leben lang dauern 😉

Er guggt ob i gugg aber i gugg net
I gugg ob er guggt aber er guggt net

und doch
habn mir uns gugge gsehe

😉

Quellen:
1) Doktorarbeit: Ursachen und Funktionen von Koppen bei Pferden und Möglichkeiten und Grenzen der Prävention und Therapie, S. 15/16 Toewe, Birte Hannelore

2) http://de.wikipedia.org/wiki/Jaak_Panksepp
http://mybrainnotes.com/brain-ocd-dopamine.html
http://www.verhalten.org/grundlagen/matching.htm

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