Vor einem Jahr…

Vor einem Jahr ist mir ein Pony passiert… Amadeus schaute mir direkt ins Gesicht und sagte „Ich gehöre zu Dir“. Die Umstände waren nicht günstig, wir haben viel diskutiert, aber am Ende durfte er einziehen. Er wurde mir beschrieben als „motiviertes völlig unerschrockenes Clickerpony, der zu allem Lust hat“. Er brachte ein paar „Macken“ mit, von denen anfangs überhaupt nichts zu sehen war und ich wunderte mich ein wenig, wie dieses sehr aufmerksame, freundliche Pony seine neuen Besitzer so verschreckt haben könnte, dass es unmöglich war, dort zu bleiben.
Ich hatte ehrgeizige, aber nicht unmöglich erscheinende Pläne mit ihm. Er sollte „Lehrpferd“ für Schüler werden, und natürlich würde ich innerhalb eines halben Jahres schon eine solide Basis erarbeitet haben. Ich konnte ja Pferde ausbilden und hatte viel Wissen. Amadeus eröffnete mir dann ein völlig neues Kapitel und zeigte mir, dass er bereits ein perfektes Lehrpferd war. Für mich.

Ich hatte bereits zwei eigene Ponies über einen längeren Zeitraum ausgebildet (oder sie mich?). Bei Mirko, als Erstpferd, hatte ich natürlich sehr viele Fehler gemacht. Erst nach und nach hatte sich das Clickertraining und die Anatomiekenntnisse als Basis unserer Arbeit gefestigt. Aus der Zeit davor hatten wir so einige Altlasten zu tragen.
Bei Amadeus wollte ich nun von Anfang an weniger Fehler machen, weniger ungeduldig sein, und die Basis so erarbeiten, wie ich es auch mit meinen Schülern tue. Bei sich selbst ist man ja sehr geneigt, Ausbildungsschritte zu überspringen, weil man ja doch schon manches weiß. Nur – das Pferd weiß das nicht.
Mein schöner Plan ging also ungefähr drei Schritte geradeaus, bevor sich das erste Hindernis in den Weg warf und bearbeitet werden wollte. Und dann das nächste. Und das nächste. Und das nächste. Immer wieder überraschte mich Amadeus mit einem Verhalten, für das ich einen neuen Ansatz finden musste.
Insbesondere das Thema der Balance erwies sich als unerwartet schwierig. Ich hatte es nicht nur mit einem Pony zu tun, das in der Bewegung total unbalanciert war, sondern das sich dadurch auch enorm stresste. Auf der Suche nach den Auslösern von diesem starken Stress, den er mitteilte, und der wirklich erst nach Wochen ganz offensichtlich wurde, je mehr er in der Gruppe und bei mir „ankam“, tauchten aus der Vergangenheit einige Überraschungen auf.

So stellte sich heraus, dass er einige Monate zur Ausbildung bei einem Horsemanship-Ausbilder gewesen war. Für ein charakterstarkes Pony, bei dem „Nachgeben“ nicht im Vokabular ist, eine – sagen wir einmal – anstrengende – Sache. Es erklärten sich nun einige Stressmomente, die auf NH-Gesten beruhten. Wieder ein Punkt, den wir kleinschrittig entgiften mussten. Von nun an betrachtete ich ihn als ein typisches „Cross-Over“ Pferd, was wiederum einige Sachverhalte auch klarer machte.

Seine andauernde Unfähigkeit, auf der gebogenen Linie zu gehen, brachte mich dazu, immer noch genauer auf die zugrundeliegenden Muskelproblematiken zu schauen Er war in der Vergangenheit sehr viel vor der Kutsche gelaufen. Das bedeutete zum Einen, dass Kurven ganz anders bewältigt worden waren, als es in der Handarbeit oder an der Longe erforderlich ist. Zum Anderen kann die Lage des Geschirrs ebenfalls dazu führen, dass raumgreifende Bewegung verhindert wird und sich Bewegungsmuster einschleichen, die nur schwer zu ändern sind. Gleichzeitig gibt die anhängende Kutsche dem Pferd Stabilität, die dann später wieder fehlt.
Aus dieser Erkenntnis heraus habe ich für mich beschlossen, dass ich ihn nicht mehr fahren werde. Zumindest nicht in absehbarer Zeit, denn sonst würde ich das, was wir uns jetzt an Bewegungsmöglichkeiten erarbeiten konnten, wieder stark anderen Einflüssen unterwerfen. Und da mir bisher noch jegliche Ausbildung in Sachen Fahren fehlt, würde es einige Zeit dauern, bis ich selbst in der Thematik drin wäre, um „gut“ zu fahren. Ich behaupte ja nicht, dass es nicht möglich ist, aber ich kann es eben jetzt noch nicht.

Meine eigene Balance wurde in diesem Jahr stark auf den Prüfstand gestellt. Amadeus spiegelt jegliche Unbalance des Menschen sehr deutlich. Laufe ich als Mensch nicht gerade, sicher und balanciert, kann er neben mir noch nicht gerade laufen. Ich habe in diesem Jahr so viel mehr von den Schwierigkeiten verstanden, die Mirko und ich zeitlebens hatten. Man beeinflusst sich immer gegenseitig, wenn man nebeneinander läuft. So war es ein Teilziel, dass Amadeus unabhängig von mir laufen konnte, aber dennoch in Verbindung mit mir. Ich musste erst daran arbeiten, meine Körpersprache unwichtig zu machen, bevor ich sie wieder in das Gespräch einbringen konnte. Und natürlich musste ich lernen, gerader und balancierter zu gehen – ein niemals endender Prozess.

Es hat viele Monate gedauert, bevor überhaupt daran zu denken war, im Trab zu arbeiten. Nach einem Jahr ist es ihm immer noch nicht oft möglich, einen Schritt zurückzugehen, ohne sofort wieder nach vorne zu drängen. Wir „können“ immerhin nun einige Meter gemeinsam im Trab arbeiten (so dass er neben mir trabt, während ich Schritt gehe), bevor er wieder umfällt.
In unseren Grundlagenübungen ist noch lange keine Routine eingekehrt. Im Gegenteil, wir können die grundlegende Muster nicht einmal ansatzweise völlig ohne Störung laufen. Andererseits ist gerade in der letzten Zeit auffällig, dass die sehr starke Seitenvorliebe, die er hatte, jetzt ausgeglichen ist und wir eigentlich keine „schlechte“ Seite mehr haben. Oft fällt es mir gar nicht mehr auf, dass wir jetzt mit der rechten Seite anfangen und dort arbeiten, was anfangs völlig unmöglich war. Fortschritt definiert sich nicht nur im Erreichen von großen Zielen. Wir können zum Beispiel jetzt völlig entspannt mit Pylonen arbeiten, auch das war anfangs ein recht großer Stresspunkt.

Ich lerne jeden Tag neu, meine Erwartungen einfach hinten anzustellen und zu sehen, was der Tag bringt und erfordert. Mich auf sein Tempo einzustellen.
Nach einem Jahr ist er jetzt so weit, dass er anfangen kann, zielgerichtet über den nächsten Schritt nachzudenken. Die Anwesenheit von Futter stresst ihn nicht mehr so, dass sie das Denken überhaupt verhindert.
Nach „normalen“ Maßstäben „können“ wir noch nix. Wir können ein bisschen geradeaus laufen. Wir können noch keine Tricks und für die, die er mal gelernt hat, weiß ich die Signale nicht. Aber es ist überhaupt nicht wichtig.

Denn ganz nebenbei passieren wunderbare Dinge, die dann „einfach so“ herausfallen. Auf einmal kann er seine Hinterbeine sortieren, und das ganz bewusst und bedacht. Auf einmal kann er die Lendenpartie loslassen, und damit beginnen, wirklich über den Rücken zu laufen. Auf einmal können wir einfach Zeit miteinander verbringen, ohne dass er ständig Bespaßung und Futter einfordert. Auf einmal finden wir zu gegenseitigem Vertrauen – dass dies solange dauert, schreibe ich seinen vergangenen Erfahrungen zu. Wir haben alle Zeit der Welt, um uns aneinander zu gewöhnen. Und so, wie sich mein Herz nun langsam für ihn öffnen kann, kann auch er den Weg zu mir finden.
Ich habe im letzten Jahr mein Herzenspony verloren. Dieser Platz war sehr lange vollständig besetzt. Und nun habe ich mit Jack und Amadeus gleich zwei Anwärter, die diesen Platz einnehmen möchten, und ganz langsam merke ich, dass es möglich sein wird, mich nicht nur wieder zu öffnen, sondern diesen Herzensplatz auch noch zu verdoppeln.

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