Ein sehr beliebtes Argument, das in Diskussionen mit Clickertrainingskritikern oft gebraucht wird, ist die Sache mit der Konditionierung.
„Eure Pferde machen ja alles nur auf Knopfdruck. Die sind ja bloss konditioniert.“
Ja, das stimmt. Unsere Pferde sind konditioniert. Wir Menschen auch. Sogar die Clickergegner sind konditioniert – nur ist es ihnen in der Regel nicht bewusst, weil viele tatsächlich nicht verstehen was es mit der Konditionierung eigentlich auf sich hat.
Vor einigen Jahren wollte sich eine neue (koreanische) Automarke am europäischen Markt platzieren. Sie hatten nur das Problem, dass ihr Markennamen für unsere Augen und Ohren ziemlich ungewohnt klang. Wer kauft schon etwas, dass er nicht mal aussprechen kann? Also zielte die Werbekampagne auf zwei Merkmale ab: Neugier – und Gewöhnung. Im ersten Schritt wurden überall Werbeplakate platziert, die nichts weiter ausser einem Wort in Lautschrift enthielten. Die meisten Menschen hierzulande sind mit der Lautschrift vertraut, also konnte man davon ausgehen, dass zumindest eine Idee in den Köpfen der Verbraucher entstehen würde.
Die Neugier wurde angefacht: Was mochte dieses Wort denn nun bedeuten? Man konnte ihm überhaupt keinen Sinn, keinen Inhalt, keine Verbindung zu einem Produkt zuordnen.
Im zweiten Schritt wurden Werbeblocks im Radio und im Fernsehen geschaltet, die nichts ausser der (gesungenen – ist eingängiger) Aussprache des zuvor platzierten Wortes enthielten. So schaffte man die Verbindung vom Auge zum Ohr, vom Gelesenen zum Gehörten. Das Wort wurde nun also schon durch zwei Sinne bekannt gemacht und verankert.
Erst im dritten Schritt wurde das Rätsel gelöst (ich meine mich zu erinnern dass es bis dahin zwei Monate waren von Beginn der Kampagne!) und das Produkt wurde nun mit Wort, Bild, und Botschaft beworben, wie es sich für eine Produktwerbung gehört.
Wer errät um welches Produkt es sich handelt? Es war die Automarke Daewoo. Von „Da E Woo?“ zu „Deeeeeeejuuuuuuu… dee—eeee—eeee—juuuuu“ wurde das Wort in unseren Gehirnen platziert. Jedoch brachte die aufwändige Werbung nichts, das Produkt floppte, weil es an den Bedürfnissen der Verbraucher vorbei ging. (1)
Warum war es so wichtig, dieses Wort vertraut klingen zu lassen? „Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht.“ Eins der bekannteren Sprichwörter. So ist es auch in der Werbung. Wir kaufen das, was wir gewöhnt sind. Wir mögen das, was wir gewöhnt sind. Wir tun das, was wir immer schon getan haben. Wir mißtrauen dem, was uns fremd und ungewohnt ist.
Und all das – ist Konditionierung. Sie passiert täglich tausendfach im Alltag, auch abseits der Werbung, aber die Werbetreibenden sind besonders daran interessiert, genau IHR Produkt am vertrautesten, am sympathischsten erscheinen zu lassen.
Denn unser Gehirn ist ziemlich einfach strukturiert, auch wenn es super komplexe Zusammenhänge durchdenken kann. Aber in erster Linie möchte es das tun, was bekannt ist, denn „Bekannt = sicher“. Das haben wir schon gesehen, das haben wir gegessen, das haben wir überlebt. Diesen Weg sind wir schon gegangen, das haben wir überlebt. Diesem Menschen haben wir vertraut, das haben wir überlebt. So einfach ist das.
Konditionierung ist also nichts weiter als die Verknüpfung von zuvor unbedeutenden und unwillkürlichen Reizen zu einer Handlung, die aufgrund dieser erfolgten Verknüpfung in Zukunft wiederholt gezeigt wird.
Je öfters wir eine Handlung wiederholen, desto dicker wird der dazu begangene Weg durch die Nervenstränge und desto eher entscheidet sich unser Gehirn, genau diesen Weg zu gehen. An dieser Stelle habe ich schon einmal etwas dazu geschrieben.
Das bedeutet aber auch, dass wir uns unsere eigene Wirklichkeit erschaffen. Wir erschaffen uns selbst mit unseren Gewohnheiten. Und jeder weiss, wie unglaublich schwierig es ist, Gewohnheiten zu durchbrechen, zu ändern – eben weil wir es immer schon so gemacht haben. Das Bewusst-werden über die Tätigkeit an sich ist der erste Schritt dazu, denn nur wenn wir von der unbewussten Ebene auf die bewusste Ebene, auf das willentlich entschiedene TUN kommen, können wir etwas ändern.
Ein kleines Alltagsbeispiel: Als mein Mann und ich in eine Wohnung zogen, gab es zur Wohnung zugehörig auch eine Doppelgarage, die wir uns mit unseren Nachbarn teilten. Das Tor der Garage war also ein doppelt so großes wie normal. Es gab außerdem seitlich eine kleine Tür, durch die man in die Garage gelangte. Zu dieser Zeit hatten wir über ein Jahr kein Auto und fuhren alles mit dem Fahrrad. Wir waren also täglich mit den Rädern unterwegs und stellten sie täglich in die Garage zur Aufbewahrung. Ich öffnete dazu jedesmal das Garagentor, mein Mann jedoch schob sein Fahrrad immer außen herum und hob es durch das kleine Türchen an der Seite in die Garage hinein (da war ein kleiner Metallabsatz). Ich wunderte mich eine ganze Zeit lang, warum er sich das so umständlich machte, bis ich es eines Tages auf einmal verstand. Ich war in einer großen Familie aufgewachsen. Wir hatten immer „ein Haus“ und eine Garage, so dass es für mich völlig normal war, das Garagentor aufzumachen – eine Bewegung die ja durchaus komplex sein kann wenn man sie nicht gewohnt ist. Mein Mann war in einer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus aufgewachsen und musste sein Fahrrad jeden Tag in den Keller tragen. Etwas, das mir unglaublich umständlich und anstrengend erschien. Ihm dagegen war das Öffnen des Garagentores (zumal es ja ein sehr großes Tor war) ziemlich unangenehm – weil ungewohnt.
So waren wir durch unsere lebenslangen Erfahrungen und Gewohnheiten geprägt. Wir waren nichts weiter als konditioniert. Übrigens, ein Verständnis dieser Prozesse ist durchaus hilfreich, Beziehungsstreitigkeiten aufzulösen 😉
Und so ist es eben ständig. Wir sind konditioniert darauf, ans Telefon zu gehen wenn es klingelt. Ein klingelndes Telefon zu ignorieren schaffen wir nur, wenn wir oft dermaßen unangenehme Anrufe haben, dass wir lieber überhaupt nicht dran gehen. Und selbst dann fühlen wir uns sehr unwohl, denn „man geht ans Telefon wenn es klingelt“. Wohingegen das selbe Klingeln des Telefons sich ganz anders anfühlt wenn jeden Abend um 18 Uhr der Herzensschatz anruft. Wir sind konditioniert darauf wo unsere Kaffeemaschine steht. Wir sind konditioniert auf unseren Namen.
Und natürlich sind auch unsere Tiere konditioniert, egal ob sie nun mit Clickertraining gearbeitet werden oder nicht. Denn jedes Lernen bedeutet Konditionierung.
Jedes Lernen heisst: Ich verknüpfe eine Handlung mit einer anderen.
Und wenn das Gehirn diese Handlungen verknüpft hat – und hat das überlebt! – dann werden diese Handlungen als „sicher“ eingestuft und unter Umständen sogar als nützlich oder angenehm, je nachdem wie die Lernerfahrung an sich gewesen ist. Natürlich gibt es auch unangenehme Konditionierungen, aber auch diese können wir nicht verhindern. Wenn ich einen Erdbeerjoghurt esse und mir wird dann schlecht, kann es sein dass ich Erdbeerjoghurt für Jahre meide. Bei mir war es tatsächlich Vanillejoghurt, aber ich habe mich aus einem Impuls heraus bewusst dagegen entschieden, das Beispiel zu wählen, um meine (überwundene) Abneigung nicht wieder erstarken zu lassen.
Wenn ein Pferd sich an einer Stelle des Reitplatzes erschrickt, weil dort z.B. wiederholt plötzlich Hunde auftauchen, kann es sehr schwer sein, diese „Achtung gefährlich!“ Ecke wieder entspannt zu durchreiten. Hier ist ein wirklich kleinschrittiges Entspannungstraining erforderlich um diese Stelle wieder positiv zu besetzen, damit sich das Tier im Vertrauen auf seinen Menschen wirklich wieder entspannt.
Man kann also soweit gehen, und behaupten das jegliches Training und jegliche „Arbeit“ mit dem Pferd nicht ohne Konditionierung auskommt. Sogar von Menschen, die behaupten, dass Ihr Pferd alles nur „aus Liebe und Vertrauen“ mit ihnen tut. Oder die die positive Verstärkung strikt ablehnen und „ganz normal“ mit ihren Tieren arbeiten. Jegliches Training wird über Gewöhnung, Wiederholung, Druck, Strafe oder Lob vollzogen, und jedes einzelne Element das „gelernt“ wird, geschieht im Gehirn darüber, dass Verknüpfungen erstellt werden, die durch konstante Wiederholung und einen (meistens) sicheren Ausgang für das Tier die Lernerfahrung „habe ich überlebt, ist akzeptabel“ darstellen. Leider ist es manchmal auch nicht mehr als das, aber das ist ein anderes Thema. Gerittene Dressuraufgaben, die vom Pferd vorweggenommen werden, sind konditioniert, ob man nun will oder nicht. Trailhindernisse, die das Pferd in und auswendig kennt, weshalb man in den hohen Trailklassen am meisten daran arbeitet zu verhindern dass das Pferd irgendetwas automatisch abspult und trotzdem aufmerksam auf den zu reitenden Weg bleibt – all dies ist nichts als Konditionierung.
Aus eigenem Erleben in jüngster Zeit kann ich auch sagen, das es sich bei der bewussten Konditionierung um eine äusserst starke Formung handelt. Seit meiner Kindheit platzierte ich meine Zahnpasta mitsamt der Zahnbürste im Zahnputzbecher. Zahnbürste ergreifen, Zahnpastatube aufschrauben, Zahnpasta auf die Bürste, Tube zuschrauben, in den Becher zurückstellen, Zähne putzen. Nun aber gab es eine neue Tube, die unten breiter war als die übliche Tube, und die nicht in den Becher passte. Es hat viele Wochen gedauert, bis ich dem Reflex widerstehen konnte und sie nicht zumindest versuchsweise in den Becher stellen wollte. Und als sie einmal solide ihren Weg neben den Becher fand, war die Umkonditionierung sicher vollzogen.
Dann hatte ich eine neue Tube, die wieder in den Becher passte. Aber ich konnte mir selbst beim Denken zuschauen. „Warum soll ich sie in den Becher stellen? Sie gehört doch daneben?“ Es fühlte sich merkwürdiger – ungewohnter – an, sie tatsächlich in den Becher zu stellen. Ein- oder zweimal habe ich das ausprobiert, aber das „daneben“ stellen fühlte sich richtiger an, obwohl ich es vorher mein ganzes Leben lang anders gemacht hatte. Aber für den neuen Ort hatte ich mich bewusster entschieden als für die Handlung zuvor. Und so tue ich es immer noch und fühle mich wohl damit. Und dieser Aspekt ist der Kernpunkt der Sache.
Das Beispiel hat mich aber auch noch einmal eindrücklich daran erinnert, das sehr viele kleine Wiederholungen im Training nötig sein können, um Verhalten wirklich zu ändern. Insbesondere wenn es für uns unerwünschtes Verhalten ist, braucht es ein willentliches Umentscheiden des Pferdes zu einem anderen, von uns favorisierten Verhalten. Es ist dann nicht mit zwei oder drei Wiederholungen getan. Es reicht nicht aus, ein Verhalten ein oder zwei mal zu bekommen und dann zu denken „Er/sie KANN das jetzt“, denn unter Umständen müssen eben tiefliegende fest verwurzelte Nervenbahnen umprogrammiert werden. Erst wenn wir zuverlässig in vielen unterschiedlichen Situationen das gewünschte Verhalten bekommen, können wir davon ausgehen, dass das neue Verhalten richtig gelernt wurde. Erst dann können wir erwarten, dass das Pferd das Verhalten „kann“ und erst dann können wir beginnen, Signalkontrolle zu trainieren. Je kleinschrittiger unser Training deshalb angelegt ist, desto besser. Ein so trainiertes Verhalten wird tatsächlich reflexhaft, aber diese Reflexe beruhen auf der willentlichen Entscheidung des Tieres selbst, die wir mit unserem Training unterstützen. Und natürlich spielen auch hier immer noch andere Faktoren mit, die das Training wesentlich beeinflussen wie z.B. die Haltung, die Fütterung, die Ausrüstung etc.
Wenn wir mit gezielter Konditionierung unsere Pferde trainieren – und zwar ganz egal ob wir mit positiver Bestärkung arbeiten und den Lernprozess noch erfreulicher gestalten oder ob wir mit blosser Wiederholung und freundlichem Wohlwollen vorgehen – schaffen wir eine neue Realität der Wahrnehmung, und können so Verhaltensweisen ändern, ohne dass es sich für das Pferd manipuliert oder falsch anfühlt. Voraussetzung dafür ist natürlich die Abwesenheit von Stress. Natürlich kann man auch mit Stress starke Verknüpfungen erstellen (ein wirklich grusliges Beispiel dafür ist „Baby Alberts“ Konditionierung (2)), aber hier soll es ja darum gehen wie wir unseren Pferden eine gute Lernerfahrung geben können. Und dass es in unserer Verantwortung liegt, mit diesem machtvollen Instrument sorgsam und respektvoll umzugehen.
Es hat sich aber auch in der Praxis gezeigt, dass die positive Verstärkung und ein Training, bei dem das Tier sich bewusst für ein Verhalten entscheiden kann, dem Arbeiten mit blossem Wiederholen einer Anweisung und wohlwollendem Lob bei korrekter Ausführung weit überlegen ist.
Bevor ich mit Clickertraining begonnen habe, habe ich einige Verhalten schon sehr konsequent auf immer die gleiche Art angefragt und mit immer dem selben Wort begleitet, in der Hoffnung hier eine gute Verknüpfung zu erarbeiten. Dabei hat es tatsächlich Monate gebraucht und hunderte, wenn nicht tausende von Wiederholungen, bis ich tatsächlich ein abrufbares Ergebnis bekam, also aufgrund des gegebenen Wortsignals das jeweilig angestrebte Verhalten. Hierbei ging es nicht um komplexe Bewegungsabläufe, sondern um genau drei Sachen: „Rum“ = geh mit der Hinterhand herum, „Ein Schritt“ = gehe nur einen Schritt mit der Hinterhand herum, „Ab“ = Stell den Huf ab. Nach etwa einem Jahr Training konnte ich hier durchaus eine solide Verknüpfung erkennen.
In der Arbeit mit positiver Verstärkung aber brauchte es unter Umständen nur fünf bis zehn Wiederholungen eines Verhaltens, dass mir vom Pferd bewusst und wiederholt angeboten wurde (wie z.B. das Heben des Vorderbeins zum spanischen Gruß) bis ich es mit einem gleichzeitig gegebenen Signal verknüpfen und dann solide abrufen konnte.
Im Gegensatz zu den oben erwähnten Beispielen haben wir es hier aber mit dem Training neuer Verhaltensweisen zu tun. Es müssen also keine alten Gewohnheiten überwunden werden, sondern wir haben quasi ein unbeschriebenes Blatt Papier, das wir mit Inhalten füllen können. Deshalb werden in der Regel beim Beginn des Clickertrainings mit einem Tier zunächst schnelle Erfolge erzielt. Wenn wir dann als Trainer „ans Eingemachte“ gehen – wortwörtlich also an konservierte Verhaltensweisen(!) werden wir um solides, kleinschrittiges und sorgfältiges Arbeiten nicht herumkommen, wenn wir dauerhafte Erfolge erzielen wollen.
Wer also behauptet, er würde ohne Konditionierung arbeiten im Gegensatz zu den „bösen manipulativen Clickertrainern“, hat möglicherweise die Sache mit der Konditionierung einfach nicht verstanden. Und alle anderen haben es vielleicht jetzt ein bisschen besser verstanden.
In diesem Sinne 🙂 frohes Lernen und Trainieren Euch allen!!
(1) https://brandtneronbranding.com/2013/02/04/dexter-vital-oder-der-klassische-werbefehler/
(2) http://www.sueddeutsche.de/wissen/psychologie-was-geschah-mit-baby-b-1.1998684